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Shon'jir – die sterbende Sonne

Shon'jir – die sterbende Sonne

Titel: Shon'jir – die sterbende Sonne
Autoren: C.J. Cherryh
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1
    Der Mri stand immer noch unter dem Einfluß von Beruhigungsmitteln. Er wurde ständig darunter gehalten, betäubt und verwirrt an diesem Ort, der von menschlichen Stimmen und seltsamen Maschinen widerhallte.
    Sten Duncan kam herbei und blieb neben dem Bett des Mri stehen, wie er es jeden Tag zweimal machte, unter den Augen des Sicherheitsoffiziers, der außen dicht vor dem Fenster des abgeteilten Raumes stand. Er kam, um Niun zu besuchen, was ihm erlaubt war, weil er der einzige in der Kesrith-Basis war, der ihn kannte. An diesem Tag zeigten die goldenen Augen mit der großen Iris eine nebelhafte Bewußtheit. Duncan hielt diesen Blick für vorwurfsvoll.
    Niun hatte Gewicht verloren. Seine goldene Haut war an vielen Stellen von heilenden Wunden bedeckt, hart und entzündet. Er hatte einen Kampf um sein Leben gekämpft und gewonnen, den er bei vollem Bewußtsein sicherlich nicht hätte gewinnen wollen; jedoch bemerkte Niun nach wie vor nicht die Menschen, die um ihn herum kamen und gingen, die Wissenschaftler, die ihn in Zusammenarbeit mit seinen Ärzten seiner Würde beraubten.
    Sie waren Feinde der Menschheit, die Mri. Vierzig Jahre des Krieges, der zerstörten Welten und der Toten, die in Millionen gezählt wurden – und doch hatten die meisten Menschen den Feind niemals gesehen. Noch weniger hatten das unverschleierte Gesicht eines lebenden Mri erblickt.
    Sie waren ein schönes Volk, groß und schlank und golden unter ihren schwarzen Gewändern: goldene Mähnen mit einem Hauch Bronze; feine, humanoide Gesichtszüge; lange, schmale Hände. Die Ohrläppchen hatten kleine, blasse Flaumbüschel, und die Augen hatten die Farbe glänzenden Bernsteins und verfügten über eine Nickhaut, eine Membran, die sie vor Staub und blendendem Licht schützte. Die Mri waren menschenähnlich und gleichzeitig beunruhigend fremdartig. So war es auch mit ihrem Verstand, der die Wege von Fremden begreifen konnte und es doch standhaft ablehnte, mit ihnen Kompromisse einzugehen.
    Im angrenzenden Raum, wo sie ähnlich behandelt wurde, lag Melein, She'pan genannt, Anführerin der Mri, eine junge Frau und während Niun barsch und finster war, ein Krieger seiner Rasse, so war Melein vornehm und elegant. Beide Mri trugen Narben im Gesicht, drei feine Linien aus winzigen blauen Farbflecken, die schräg über jede Wange verliefen, vom inneren Augenwinkel bis zum äußeren Rand des Backenknochens, Markierungen von einer Bedeutung, die kein Mensch kannte. In Meleins schlafendem Gesicht verliehen die feinen blauen Linien den mit bronzenen Wimpern besetzten Augen eine exotische Schönheit; sie schien zu zerbrechlich zu sein, um Anteil an der Grausamkeit der Mri zu haben oder die Last der Mri-Verbrechen zu tragen. Von denen, die mit den Mri umgingen, wurden sie freundlich behandelt; sie senkten sogar die Stimme, wenn sie bei ihr im Zimmer waren, berührten sie so wenig wie möglich und vorsichtig. Sie schien weniger ein gefangener Feind zu sein als vielmehr ein liebliches, trauriges Kind.

    Es war Niun, den sie für ihre Untersuchungen wählten – Niun, unzweifelhaft der Feind, dessen Gefangennahme einen hohen Preis erfordert hatte. Er war von Anfang an stärker gewesen, die Behandlung seiner Wunden einfacher; und trotzdem erwartete man offiziell nicht, daß er überlebte. Man bezeichnete die Untersuchungen als medizinische Behandlung und trug sie als solche in die Berichte ein, aber im Namen dieser Behandlung hatte man Niun holographiert, innen und außen abgetastet, ihm Gewebeproben und Blut entnommen, alles, was die Forscher haben wollten, und Duncan hatte mehr als einmal gesehen, wie er mit gefühlloser Grobheit behandelt wurde, wie man ihn auf dem Tisch liegenließ, während sich die Menschen Zeit ließen bei dem, was sie mit ihm machten.
    Duncan verschloß die Augen davor, fürchtete, daß jeder von ihm vorgebrachte Protest ihn gänzlich aus der Nähe der Mri verbannen würde. Sie waren trotz ihrer schweren Verletzungen am Leben gehalten worden. Sie überlebten; sie heilten; und für Duncan war dies von größter Bedeutung. Die persönliche Ethik der Mri wies Außenstehende zurück, verabscheute Medizin, lehnte das Mitleid ihrer Feinde ab; aber in nichts war diesen beiden Mri eine Wahl gelassen worden. Sie gehörten den Wissenschaftlern, die die Mittel gefunden hatten, ihr Leben zu verlängern. Es wurde ihnen nicht erlaubt, aufzuwachen – und auch das geschah zu dem Zweck, sie am Leben zu erhalten.
    »Niun«, sagte Duncan sanft, denn der
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