Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shon'jir – die sterbende Sonne

Shon'jir – die sterbende Sonne

Titel: Shon'jir – die sterbende Sonne
Autoren: C.J. Cherryh
Vom Netzwerk:
an ausgebildet worden war, elternlos, bezüglich der Richtung seines Lebensweges mit nur einem Ziel im Kopf. Sein ganzes Wissen war praktisch, bei Bedarf angesammelt, in seinen Kopf gestopft von Ausbildern, die nur daran interessiert waren, daß er überlebte und den Feind tötete.
    So war es gewesen, bis er gesehen hatte, daß sein Krieg zu Ende war, bevor er gesehen hatte, wie sein Feind von den Regul hinterrücks ermordet wurde; und mit den Überlebenden ein Lager geteilt hatte; und gesehen hatte, wie die stolzen Mri von menschlicher Barmherzigkeit abhingen.
    Zweitausend Jahre in Berichten, Karten und Bändern lagen in der Regul-Bibliothek, Wahrheiten, verschlossen hinter Regul-Sprache und Regul Unverständlichkeiten. Duncan studierte. Er erforschte, was die Mri auf Kesrith gewesen waren, was sie anderswo gewesen waren, mit einem Interesse, unendlich persönlicher als das der Wissenschaftler von der FLOWER.
    Stavros mißbilligte das. Es trug Einstellungen und Interessen zur Schau, die die Regul fürchteten und denen sie mißtrauten. Und die Regul zu beleidigen, lief der neuen Annäherungspolitik der Menschheit entgegen. Es brachte Stavros in Verlegenheit; es ärgerte ihn, der auf Kesrith und in seinen neuen Territorien enorme Autorität besaß.
    Aber immer noch blieb die Bibliothek das, wofür sich Duncan in seinen freien Stunden entschied und die seine nutzlose Existenz weitgehend ausfüllte. Er wurde bald zu einem Ärgernis für das wissenschaftliche Personal der FLOWER, das selbst die Bibliothek nach dem untersuchte, was daraus gewonnen werden konnte, und unterschiedslos Bänder und Berichte kopierte, damit sie später zu Hause in den Laboratorien von Elag/Haven und Zoroaster ausgewertet werden konnten. Duncan suchte sich die speziellen Berichte heraus, die mit den Mri zu tun hatten, und machte sich für bestimmte Leute von der FLOWER nützlich, die überredet werden konnten, sein Interesse zu teilen. Mit seiner eigenen stockenden Beherrschung der Regul-Sprache konnte er selbst nur wenig dafür tun, die Bänder zu verstehen oder die Karten zu interpretieren; aber er sprach mit den Wissenschaftlern, die es konnten. Er diskutierte mit ihnen; er versuchte mit all seiner Beharrlichkeit, sie begreifen zu machen, was er selbst nicht begriff. Zu lernen, was das gewesen war, mit dessen Zerstörung er sein Leben verbracht hatte, was er vollständig auszutilgen gewünscht hatte.
    Er raffte seine Aufzeichnungen zusammen und sein handgeschriebenes Wörterbuch und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.
    Das Licht auf der Schalttafel blitzte.
    »Kose Sten Duncan«, sagte eine Regul-Stimme, gab ihm immer noch seinen alten Titel als Stavros' Assistent, was ihn überraschte. »Kose Sten Duncan.«
    Er drückte den Antwortknopf und verspürte ein vages Unbehagen darüber, daß jemand im Nom sich entschieden hatte, ihm dazwischenzukommen, seine Verborgenheit zu stören. Seine ernsthafte Absicht war jetzt einfach: alleingelassen zu werden, solche Aufgaben zugeteilt zu bekommen, die ihm untere Kanäle geben konnten, und bei den höheren vergessen zu werden.
    »Ich bin hier«, berichtete er dem Regul.
    »Die Verehrung Bai Stavros übermittelt Ihnen den Befehl, ihn sofort in seinem Büro aufzusuchen.«
    Duncan zögerte, das Herz verkrampft durch das Vorauswissen, daß seine Zeit der Gnade vorüber war. Irgendwo im Labyrinth der FLOWER mußten Papiere unterzeichnet worden sein, die ihn als dienstfähig erklärten; irgendwo im Nom wurden Papiere vorbereitet, die ihn in ähnlicher Weise für jemandes Dienst einteilten. Auf dem kolonialen Kesrith konnte nichts ohne einen bestimmten Nutzen bleiben.
    »Teilen Sie der Verehrung mit«, sagte er, »daß ich sofort komme.«
    Der Regul erwiderte eine kurze Silbe und beendete die Verbindung; das zeigte Mangel an Respekt. Duncan schleuderte seine Aufzeichnungen auf den Tisch, öffnete die Tür und schritt auf den Korridor hinaus.
    Es war kein Zufall, daß Stavros ihn zu dieser Stunde zu sich gerufen hatte. Duncan war in seinen Gewohnheiten minutiös geworden und damit berechenbar: von seiner Behandlung am Vormittag dann mittags zu seinem Apartment, und nach einer Viertelstunde vom Apartment zur Bibliothek. Und was die Bibliothek anging, hatte er seine Warnung erhalten.
    Fiebrig in seiner Ängstlichkeit fing er an, die schlimmsten Dinge vorwegzunehmen, die ihn erwarten mochten: einen Verweis; einen direkten Befehl, seine Besuche in der Bibliothek aufzugeben – oder eine Ausschließung von der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher