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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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zu der Bank, setzte mich darauf und wartete. Ich brauchte nicht lange zu warten, da glitt die Florine unter mir durch das gleißende Wasser. Daddy stand an ihrem Bug. Nicht der Daddy, den ich nach Carlies Verschwinden gekannt hatte, sondern mein Daddy von früher, als er voller Lebenskraft gewesen war, voller Liebe zu seiner Frau und seiner Tochter, als alles, was er kannte, einen Sinn ergab. Er lächelte mir zu, und das Licht hinter ihm machte ihn zu dem Mann, den Carlie gesehen haben musste, als sie damals nach The Point gekommen war.
    Und da saß sie, steuerbords, ließ den gebräunten Arm über das Schandeck hängen und strich mit den Fingern über die Wasseroberfläche. Der Blick, mit dem sie mich ansah, war so voller Bitten um Verzeihung, dass es mir das Innerste nach außen kehrte.
    Mehr als ein »Oh« brachte ich nicht heraus, aber darin lag alles, was ich je für die beiden empfunden hatte. Danach wendete Daddy die Florine, und sie glitten von mir fort, hinaus aufs Meer und außer Sicht.
    »Du hast Besuch«, sagte eine Stimme, und als ich mich umdrehte, stand da meine Grand, Mehl auf der Schürze, das Haar halb aus dem Knoten gerutscht, die blauen Augen hell und strahlend wie eine Tasse Himmel mit Sahne. Sie war nicht allein. »Das ist meine Enkelin«, sagte sie zu dem Mann neben ihr. Er sah genauso aus, wie ich ihn von Bildern kannte, und ich hatte das Gefühl, wir brauchten uns nicht vorzustellen, aber trotzdem sagte ich: »Freut mich, dich kennenzulernen, Jesus«, weil Grand auf gute Manieren achtete.
    »Du musst dich um deinen Besuch kümmern«, wandte Grand sich noch einmal an mich. Damit verschwanden sie und Jesus aus dem Schlafzimmer, und ich kam zu mir. Ich lag immer noch im Bett. Der Mond war wieder nur der Mond, hell, aber nicht aufdringlich.
    Die Küchenuhr schlug zwei. Ich stand auf, leicht wie die Daune eines Entenkükens, und ging nach unten, durch das Wohnzimmer und hinaus auf die Veranda. Überall waren Flecken von Mondlicht, und die Luft duftete nach Blumen. Doch ich setzte mich nicht in meinen Schaukelstuhl, dazu war ich zu rastlos. Ich ging in die Küche und blickte durch das große Fenster hinunter zum Hafen.
    Als ich aus dem Augenwinkel einen Schatten sah, der sich auf das Haus zubewegte, klammerte sich mein Herz an den Atem in meiner Kehle. »Daddy?«, flüsterte ich.
    Aber dafür war der Schatten zu dünn. Besuch, hatte Grand gesagt. Doch dieser Mann war kein Besucher; er war wie ein Zuhause für mein hungriges Herz.
    Ich trat hinaus in die Sommernacht. »Hey«, sagte ich. »Hey«, sagte Bud. »Schon ziemlich spät.«
    »Konnte nicht schlafen«, sagte Bud. »Dachte mir, ich geh ein bisschen spazieren.«
    »Vielleicht brauchst du Gesellschaft.«
    »Vielleicht brauche ich deine Gesellschaft.«
    »Mir ist nicht nach Spazierengehen.«
    »Mir auch nicht mehr«, sagte er, und wir gingen hinein und nach oben.
    Wir fielen auf Grands Bett wie ein Körper, umeinandergeschlungen wie zwei Aale, und bevor es mir wirklich zu Bewusstsein kam, war er schon ein Teil von mir. Seine Hände berührten mich auf eine Weise, die nicht wehtat, als wüsste er genau, wo all meine Narben waren. Meine Beine hielten ihn fest, und unsere Lippen lösten sich nicht mehr voneinander, während wir hinabtauchten, tiefer als das Seegras, tiefer als der Meeresgrund, bis ich durch die Oberfläche brach.
    Als es anfing zu dämmern, berührte er mein Gesicht und mein Haar, betrachtete alles mit seinen dunklen Augen, als wollte er sich jede Einzelheit einprägen.
    »Ich verlass dich nicht, Florine«, sagte er.
    »Ich weiß.«
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