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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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gegen die Luke gelehnt und blickte hinauf in den Himmel. Seine eine Hand lag halb geöffnet auf dem Deck, einen Schraubenschlüssel auf der Innenfläche.
    »Was machst du?«
    Er blickte weiter gen Himmel, so gebannt, dass ich ebenfalls hinaufschaute. Ich sah nichts.
    »Was gibt’s denn da zu sehen?«, fragte ich. Er antwortete nicht.
    Und da begriff ich.
    Mein Herz pochte mit schweren, schmerzhaften Schlägen. »Nein«, sagte ich. »Daddy?« Ich streckte die Hand aus und berührte sein Gesicht. Es war klamm und mit Schweiß überzogen, den er nie wieder mit seinem Taschentuch wegwischen würde. Abrupt zog ich meine Hand zurück und fing an zu wimmern, hoch und schrill wie ein kleines Mädchen. Ein paar Möwen kamen neugierig herbei und musterten mich, dann flogen sie wieder fort.
    Ich weiß nicht, wie lange ich da saß und Tränen auf Daddys Gesicht tropfen ließ. Doch nach einer Weile hielt ich inne und betrachtete den Ausdruck darauf. Daddy wirkte glücklich und überrascht, als wäre er jemandem begegnet, den er lange nicht mehr gesehen hatte. Ich folgte erneut seinem Blick und verfing mich in den Schichten von Blau, die uns vom All trennten.
    »Sie hat dich gefunden, Daddy, nicht wahr?«, sagte ich. »Sie ist zu dir zurückgekommen.« Mit der Faust wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht. »Wurde aber auch verdammt noch mal Zeit«, sagte ich zu Carlie. Dann dachte ich daran zurück, wie Daddy und Carlie in der Küche getanzt hatten, wie er sie, ihre zierlichen Füße auf seinen großen, in einem unbeholfenen Walzer herumgeschwungen hatte. Ich ließ sie Love Me Tender bis zum Ende tanzen, bevor ich daran dachte, Hilfe zu holen.
    Ich sah auf die Uhr. Es war kurz vor drei. Daddy war irgendwann zwischen eins und halb drei gestorben. »Ich hätte bei dir sein sollen«, sagte ich. Dann hörte ich Daddys Stimme, hell und klar wie der Himmel über uns: »Du hättest nichts tun können, Florine. Es ist in Ordnung so. Völlig in Ordnung.« Und Carlie sagte: »Du kommst schon zurecht, meine kleine Verbrecherin.«
    Weit und breit war kein anderes Boot zu sehen, außer einem Tanker, der sich ganz weit draußen am Horizont seinen Weg bahnte. Ich ging zum Funkgerät. Wahrscheinlich hätte ich die Küstenwache rufen sollen, aber für eine Rettungsaktion war es zu spät. Also funkte ich Rays Laden an. Glen antwortete.
    »Hier spricht Florine«, sagte ich. »Ich bin mit Daddy draußen auf dem Boot. Glen, er ist tot. Herzinfarkt, nehme ich an. Bitte schick jemanden raus, um uns zu holen. Der Motor streikt.«
    »Ach du Scheiße«, sagte Glen.
    »Ja, genau.«
    »Ach du Scheiße«, sagte er erneut, und dann: »Oh nein.« Ich hörte die Trauer in seiner Stimme, und da wurde mir klar, dass Daddy nicht nur mein Vater gewesen war, sondern dass er zu The Point gehörte und zu allen Menschen dort. Stella. Oh Gott, Stella.
    »Glen«, sagte ich mit zittriger Stimme, »er wollte versuchen, den Motor zu reparieren. Ich bin eingeschlafen, und als ich aufwachte, war er tot. Bitte schick jemanden raus. Und bitte sei nett zu Stella.«
    Ich blieb fast eine Stunde bei Daddy sitzen. Wir waren ziemlich weit rausgefahren, so weit, wie seine Fangleine reichte. Ein paar Boote tuckerten an mir vorbei, aber ich rief sie nicht. Ich streichelte Daddy mit den Fingerspitzen übers Haar, ließ die Trauer über mir zusammenschlagen, ließ mich von ihr tragen und mitreißen.
    Endlich kamen Sam, Glen und Bud mit der Maddie Dee.
    Bud kletterte an Bord, und ich lief zu ihm wie ein kleines Kind. Er hielt mich fest und ließ mich weinen, strich mir über den Rücken, küsste mich aufs Haar und sagte: »Ist schon gut«, als wäre ich gefallen und hätte mir das Knie aufgeschürft.
    Nach einer Weile murmelte er leise: »Ich muss ihnen helfen«, und ging zu der Luke, wo Sam und Glen standen. Sam sagte mit brüchiger Stimme: »Wir müssen ihn da rausholen und den Motor in Gang bringen. Ich weiß, was mit dem verdammten Ding los ist. Florine, fahr du mit Glen in der Maddie Dee zurück. Bud und ich bringen deinen Vater nach Hause.«
    »Ich will ihn nicht allein lassen«, sagte ich.
    »Er ist fort, Liebes«, sagte Sam. »Du lässt ihn nicht allein.«
    Bud sagte: »Wär’s in Ordnung, wenn Glen hierbleibt und ich mit Florine zurückfahre?«
    Im ersten Moment sah Sam überrascht aus, aber dann nickte er.
    Bud fuhr die Maddie Dee zum Hafen zurück, mit mir zwischen ihm und dem Steuerrad. Am Kai drängten sich die Menschen, um Daddy in Empfang zu nehmen.
    »Das schaffe ich
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