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Salon der Lüste - 3

Salon der Lüste - 3

Titel: Salon der Lüste - 3
Autoren: Kathryn Smith
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Kapitel 1
    Das war das dezenteste Bordell, das er jemals gesehen hatte.
    Saint stand vor der Tür und blickte an dem hübschen roten Klinkerbau in Chelsea hinauf. Weder gab es ein Namensschild, das mehr oder minder unverhohlen andeutete, um was für ein Etablissement es sich handelte, noch hingen rote Gardinen in den Fenstern oder zeigten übertrieben herausgeputzte Damen auf Balkonen, was sie zu bieten hatten. Stattdessen waren links und rechts von der sauberen Steintreppe kleine Blumen gepflanzt, die ein verspielter schmiedeeiserner Zaun vor den Passanten schützte. Die Vorhänge waren von dieser Sorte gebauschtem Chintz, wie sie nur eine Frau modisch nennen würde, die zu viel Zeit und zu viel Geld besaß.
    Mit anderen Worten: Was eigentlich ein schrilles Inbild von Sittenwidrigkeit sein sollte, sah. aus wie das äußerst respektable Heim einer gehobenen Mittelstandsfamilie, gelegen in einem äußerst respektablen Stadtteil - auch wenn dieser neuerdings vermehrt Künstler und dergleichen anlockte.
    Für die nächsten dreizehn Stunden sollte es auch sein Heim sein. Der Morgen graute bereits am Horizont und streckte seine warmen, tödlichen Arme nach Saint aus. Bevor die Sonne ihr strahlendes Haupt erheben und ihn zu einem qualmenden Aschenhäufchen auf dem Pflaster verschmoren würde, musste er sich in Sicherheit bringen. Und da er noch nicht vor hatte zu sterben, würde ihm Madam Madelines Maison Rouge als einziger Unterschlupf bleiben.
    Er klopfte an die Tür. Wenige Augenblicke später öffnete ihm eine rundgesichtige Frau, die aussah, als hätte sie gerade geweint. Sie war ganz in Schwarz gekleidet - eine unglückliche Farbwahl angesichts ihres blassen Teints und der kaninchengleich geröteten Augen.
    Im ersten Moment glaubte Saint schon, er hätte sich in der Tür geirrt.
    »Mr. Saint?«
    Sie kannte ihn, also müsste er ebenfalls wissen, wer sie war. Aufmerksam betrachtete er ihr liebreizendes, obschon nicht mehr jugendliches Gesicht und das ergrauende sandfarbene Haar. Sie hatte die größten blauen Augen, die er je gesehen hatte, und auf einmal erinnerte er sich, wie diese Augen vor Jahren ausgesehen hatten.
    »Emily?«
    Mit einem matten Lächeln trat sie beiseite, um ihn hereinzulassen. »Sie erinnern sich also.«
    Ja, das tat er. Er erinnerte sich an eine dralle junge Verführerin, deren unschuldiges Gesicht von ihrem abenteuerlustigen Wesen Lügen gestraft wurde. Vor dreißig Jahren hatte er mit dieser Frau das Bett geteilt, sich am üppigen Bouquet ihres Blutes gestärkt und auch andere Gelüste an ihr gestillt. Hier war sie nun nach wie vor im Maison Rouge und sah alt genug aus, um seine Mutter, nicht aber seine Geliebte zu sein.

    Es versetzte ihm einen Stich; beinahe wollte er sich dafür entschuldigen, dass er nicht alterte und sie mit seiner ewigen Jugend gleichsam beschämte.
    »Selbstverständlich erinnere ich mich, meine Liebe.« Er betrat die gedämpft beleuchtete Diele und atmete den Duft von Weihrauch, Limone sowie die schwache, doch wenig verwunderliche Note von Sex ein. In der Diele war niemand, und überhaupt wirkte das Haus ungewöhnlich still, abgesehen von sehr leisen Stimmen und … Schluchzen hinter verschlossenen Türen. »Was ist passiert?«
    Die Frau schloss die Tür, so dass Saint vor dem anbrechenden Tageslicht geschützt war. »Ach, Mr. Samt! Wir hatten hier einige furchtbare Tragödien. Ich sollte aber nichts weiter sagen, denn gewiss wird Madeline Ihnen selbst alles erzählen wollen.«
    Saint folgte Emily einen schmalen Flur entlang. Die elegante Holzvertäfelung und die hell cremefarbenen Tapeten wurden vom warmen Schein der neuen elektrischen Beleuchtung erhellt. Nun ja, für ihn war eigentlich alles neu, was jünger als fünfzig Jahre alt war. Er entsann sich noch, wie Gaslampen der jüngste Schrei waren, und jetzt brachten sie Lichter in die Häuser, für die es nichts weiter bedurfte als eines Drehschalters.
    »Ist jemand gestorben, Emily?« Zwar fragte er sehr ungern, doch er musste es wissen, denn er fühlte die Trauer im Haus deutlich. Von überallher drangen die erstickten Schluchzer zu ihm.
    Hinten in der Küche öffnete seine Begleiterin eine geheime Tür hinter der Bedienstetentreppe. »Kommen Sie. Ich bringe Sie erst einmal sicher in Ihr Zimmer, ehe ich Sie mit meinem Kummer belaste.«
    Ihre Sorge darum, dass er es komfortabel hatte, war rührend, wenn auch ein wenig enervierend. Immerhin war er kein junger nervöser Grünschnabel, im Begriff, sich entjungfern zu
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