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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman
Autoren: Tuomas Kyrö
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Der Weg des rostfleckigen Lieferwagens führte vom Süden in den Norden. Wenn es bergauf ging, ächzte das Getriebe, wenn es bergab ging, schlugen die Bremsen Funken, und alle Fahrzeuginsassen hielten die Luft an. Es war ein Terroristenkleinbus – dasselbe Baujahr wie Vatanescu, derselbe Jahrgang auch wie der totale holländische Fußball; genau genommen wurde der Bus in dem Jahr gebaut, in dem Vatanescu zum ersten Mal die Freiheit aufflimmern sah. Der einzige Fernsehsender seines Heimatlandes zeigte damals jeden Abend dieselbe Rede des Diktators, aber an einem Abend wurde die übliche Zeremonie unterbrochen, weil plötzlich Monty Python über den Bildschirm flimmerte. Was war da los? »Das Ministerium für alberne Gangarten«. Was war das denn für ein saukomischer Sketch?
    Vatanescu hatte gerade eine Brustwarze im Mund, als seine Mutter Nadia auf den Fernseher starrte, und so schwappte mit der Milch ein Schluck freie Welt in den Säugling – frei von Vernunft.
    Während der Fahrt im Lieferwagen hielt Vatanescu die Hand seiner schlafenden Schwester.
    Wenn ich könnte, würde ich dich beschützen.
    Aber zuerst muss man auf sich selbst aufpassen.
    Du hast mich immer in Schutz genommen.
    Als kratzbürstige, praktisch veranlagte Frau kam Klara Vatanescu nach ihrer Großmutter. Unter anderen Umständen hätte sie eine robuste Nomadin sein können, unter wieder anderen gar Außenministerin, aber in der Wirklichkeit, in der sie lebte, gehörte sie zu den ärmsten aller armen Frauen und saß auf ihrer einzigen Handelsware. Vatanescu tat kein Auge zu; durch das kleine Fenster in der Hecktür blickte er auf fremde Kirchtürme und ferne Dörfer, in denen unbekannte Menschen mit ihren Teflonpfannen und Digitalreceivern lebten, Menschen, die ihre Essenszeit hatten, ihre Schulzeit, ihre Paarungszeit, Pläne für die Zukunft und ein Wohnungsdarlehen, kieferorthopädische Behandlung für die Kinder, Rente, Grabplatz, Gedenkrede, Blumen auf dem Hügel, das ganze Programm.
    Vatanescu hebelte eine Konservenbüchse auf. Die Reisevereinbarung, die er mit Jegor Kugar getroffen hatte, schloss Vollpension ein, was in der Praxis Hängematte und Konserven bedeutete. Die Dosen stammten aus dem Jahr 1974 und aus SWE , wie auf dem Boden angegeben wurde. Einst waren sie für das Überleben nach dem Atomkrieg vorgesehen gewesen, aber zum Leidwesen des Käufers war es nie zu diesem Krieg gekommen. Im atomwaffenfreien Skandinavien alterten die Konserven vor sich hin, bis die schwedische Armee sie an denjenigen zurückverkaufte, von dem sie die Dosen einst erworben hatte. Der wiederum verschacherte sie an die organisierte Kriminalität, die sie ihren Leiharbeitern zur Verfügung stellte. Das Fleischprodukt rutschte durch Vatanescus Speiseröhre, blubberte eine Zeitlang im Magen und verursachte anschließend krampfartige Blähungen.
    Als Klara beim nächsten Sonnenaufgang ausstieg, starteten und landeten irgendwo in der Ferne Flugzeuge. Durchs dünne Blech des Lieferwagens hörte Vatanescu ein Auto der Premiumklasse im Leerlauf, und er schob sich an die Fensteröffnung heran. Sein Reisegefährte Pudas klagte unterdessen über den Gestank im Laderaum; die Luft sei so dick, dass man sie mit dem Dosenöffner zerschneiden könne!
    Mir wird gerade die Schwester weggenommen.
    Da wirst du den Furzgeruch wohl ertragen.
    Sie befanden sich auf einem brachen Gelände, und neben dem Lieferwagen standen junge Männer herum, die man nur als Prolls bezeichnen konnte, wenn man der Wahrheit gerecht werden wollte. Sonnenbrillen, geknöpfte Trainingsanzüge, wie man sie von Typen kannte, die freitagnachts am Schnellimbiss eine Schlägerei anfangen, und die Haare mit viel zu viel Gel nach hinten gestriegelt. Sie wollten wie Gangster im Kino aussehen – aber vergeblich, denn sie strahlten über sämtliche Staatsgrenzen hinweg nichts anderes aus als ihr wahres Wesen, ihre Identität und ihr Problem. Sie waren kleine polnische Handlanger, aus der Armee entlassene ukrainische Fingerbrecher, Schulhofquälgeister aus Turkmenistan, oder auch auf dem Schulhof gequälte Albaner, die das Leben zu Fieslingen gemacht hatte.
    Vatanescu sah, wie einer von ihnen die hintere Tür eines Mercedes öffnete. Klara duckte sich und stieg ein, und Vatanescu musste daran denken, wie er schwimmen gelernt hatte.
    Ich kann das nicht, lass mich nicht los! Ich hab Angst vorm Wasser! Nein … ich kann’s doch. Ich kann es!!!
    Unwillkürlich drückte er die Fingerspitzen gegen das kleine
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