Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Roth, Philip

Titel: Roth, Philip
Autoren: Nemesis
Vom Netzwerk:
gegen eine Erkrankung der Kinder darstelle.
    Und so fuhren die Glücklichen, Privilegierten den Sommer über fort, und der Rest von uns blieb in der Stadt und tat - angesichts der Tatsache, dass »Überanstrengung« im Verdacht stand, eine der möglichen Ursachen der Krankheit zu sein -, genau das, was wir eigentlich nicht tun sollten: Wir spielten auf dem heißen Asphalt des Sportplatzes ein Baseball-Spiel nach dem anderen, rannten den ganzen Tag in der Gluthitze herum, tranken durstig von dem verbotenen Trinkbrunnen, saßen zwischen den Innings dicht gedrängt mit den anderen auf einer Bank, auf dem Schoß die abgewetzten Baseballhandschuhe, mit denen wir uns während des Spiels den Schweiß von der Stirn wischten, damit er uns nicht in die Augen rann, sprangen und alberten in unseren verschwitzten Polohemden und stinkenden Turnschuhen herum und dachten für den Augenblick nicht daran, dass dieses ausgelassene Rennen in der Sommerhitze für jeden von uns mit lebenslanger Gefangenschaft in einer eisernen Lunge enden konnte, womit sich die schrecklichsten Ängste bewahrheiten würden, die ein Körper nur haben kann.
    Nur etwa ein Dutzend Mädchen kam zum Sportplatz, Acht- oder Neunjährige, die meist dort, wo das Baseballfeld zu einer kleinen, für den Verkehr gesperrten Straße neben der Schule abfiel, Seilsprangen. Oft spielten sie auf der Straße Himmel und Hölle oder Fangen oder warfen sich stundenlang einen rosaroten Gummiball zu. Manchmal, wenn sie beim Seilspringen zwei Seile gegenläufig wirbeln ließen, rannte ein Junge ungebeten hinzu, schubste das Mädchen, das gerade springen wollte, beiseite und hüpfte selbst in die Seile, wobei er spottend den Singsang nachäffte, den die Mädchen beim Springen aufsagten, und sich absichtlich in den Seilen verhedderte. »N, ich heiße Nilpferd ...« Dann schrien die Mädchen: »Hör auf! Hör auf!«, und riefen nach dem Lehrer, der die Aufsicht hatte. Der brauchte dem Störenfried (meist war es derselbe) von dort, wo er gerade war, nur zuzurufen: »Lass das, Myron! Wenn du die Mädchen nicht in Ruhe lässt, musst du nach Hause gehen!« Damit war die Störung dann beendet, und bald schwangen die Seile wieder durch die Luft, und eine Seilspringerin nach der anderen sagte ihren Vers auf:
    A,         ich heiße Agnes,
    Und mein Mann, der heißt Alphonse,
    Wir kommen aus Alabama.
    Und bringen Aprikosen mit.
    B,         ich heiße Bertha,
    Und mein Mann, der heißt Bernard,
    Wir kommen von den Bermudas.
    Und bringen Bälle mit.
    C,         ich heiße ...
    Die Mädchen am Ende des Sportplatzes improvisierten sich mit ihren Kinderstimmen durch das ganze Alphabet von A bis Z und wieder zurück, wobei die Substantive in jedem Vers mit demselben Buchstaben beginnen mussten, was manchmal nur mit grotesken Wortentstellungen möglich war. Aufgeregt rannten und sprangen sie umher - außer wenn Myron Kopferman oder seinesgleichen ihr Spiel rüde störte - und legten eine erstaunliche Energie an den Tag; wenn sie nicht von der Aufsicht aufgefordert wurden, sich aus der Hitze in den Schatten des Schulgebäudes zurückzuziehen, spielten sie auf der kleinen Straße, von dem Freitag im Juni, an dem das Schuljahr endete, bis zum ersten Dienstag im September, an dem das nächste begann und sie nur noch in den Pausen und nach der Schule seilspringen konnten.
    Die Ferienaufsicht über den Sportplatz hatte in jenem Jahr Bucky Cantor, der, weil er wegen seiner starken Kurzsichtigkeit dicke Brillengläser brauchte, einer der sehr wenigen jungen Männer in unserem Viertel war, die nicht in den Krieg gezogen waren. Im vergangenen Schuljahr war Mr. Cantor als neuer Sportlehrer an die Chancellor Avenue School gekommen, und daher kannte er viele von uns, die sich im Sommer regelmäßig auf dem Sportplatz einfanden, schon vom Sportunterricht. Er war dreiundzwanzig und hatte Newarks South Side Highschool für weiße und schwarze Kinder aller Religionszugehörigkeiten besucht und danach am Panzer College für Sport und Hygiene in East Orange studiert. Er war nur knapp eins siebzig groß, und obwohl er ein überragender Sportler und ernstzunehmender Gegner war, hatten seine geringe Körpergröße und seine Kurzsichtigkeit ihn gehindert, in der Football-, Baseball- oder Basketballmannschaft des Colleges zu spielen und seine Wettkampfteilnahme auf die Disziplinen Speerwerfen und Gewichtheben beschränkt. Auf seinem kompakten Körper saß ein ziemlich großer, scharf konturierter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher