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Roth, Philip

Titel: Roth, Philip
Autoren: Nemesis
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für das Auftreten von Malaria in jener Zeit, als auch sie eine unheilbare Krankheit gewesen war -, mussten wir uns ganzer Schwärme von Moskitos erwehren, wenn wir uns abends in Gassen und Einfahrten auf Gartenstühle setzten, um der stickigen Wärme unserer Wohnungen zu entkommen, wo man die mörderische Hitze nur mit einer kalten Dusche und Eiswasser mildern konnte. Damals gab es noch keine Klimaanlagen für den privaten Gebrauch, und der kleine schwarze Ventilator, der auf einem Tisch stand und die Luft im Zimmer in Bewegung hielt, brachte bei Temperaturen über fünfunddreißig Grad, die in jenem Sommer häufig auftraten und dann eine Woche oder gar zehn Tage lang anhielten, kaum Linderung. Draußen zündete man Zitronellenkerzen an und versprühte Insektenvertilgungsmittel, um die Moskitos und die Fliegen auf Abstand zu halten, die Malaria, Gelbfieber und Typhus übertrugen und von vielen für die Krankheitsüberträger der Polio gehalten wurden, so auch von Newarks Bürgermeister Drummond, der eine »Tod den Fliegen«-Kampagne ins Leben rief. Wenn es einer Fliege oder Mücke trotz der Fliegengitter gelang, durch eine offene Tür ins Haus zu schlüpfen, so wurde sie mit Fliegenklatsche und Insektenspray unbarmherzig zur Strecke gebracht, denn man fürchtete, sie brauchte mit ihren von Keimen wimmelnden Beinen nur auf einem der schlafenden Kinder zu landen, um es mit Polio zu infizieren. Da damals noch niemand den Übertragungsweg kannte, war man misstrauisch gegenüber allem und jedem - das galt auch für die streunenden Katzen, die sich über unsere Mülltonnen hermachten, oder die herrenlosen Hunde, die ihr Geschäft mitten auf dem Bürgersteig verrichteten, und die Tauben, die gurrend auf den Giebeln der Häuser saßen und unsere Vortreppen beschmutzten. Um die Krankheit einzudämmen, ließ das Gesundheitsamt nach den ersten aufgetretenen Fällen und noch bevor amtlich festgestellt worden war, dass es sich um eine Epidemie handelte, systematisch die überaus zahlreichen streunenden Katzen töten, obgleich niemand wusste, ob sie mit der Ausbreitung der Polio mehr zu tun hatten als Hauskatzen.
    Man wusste nur, dass die Krankheit hochansteckend war und schon durch körperliche Nähe zu bereits infizierten Menschen übertragen werden konnte. Als die Fälle - und damit die allgemeine Angst - in der Stadt stetig zunahmen, wurde es daher den Kindern in unserer Nachbarschaft von den Eltern verboten, zum Freibad im Olympic Park im nahegelegenen Irvington zu gehen; verboten waren die »gekühlten« Kinos, verboten war es, mit dem Bus in die Innenstadt zu fahren oder zur Wilson Avenue zu gehen, um unsere Baseballmannschaft, die Newark Bears, im Ruppert Stadium spielen zu sehen. Man warnte uns eindringlich davor, öffentliche Toiletten zu benutzen, unseren Durst an öffentlichen Trinkbrunnen zu löschen, einen Schluck aus der Sodaflasche eines anderen zu nehmen, uns der Zugluft auszusetzen, mit Fremden zu spielen, ein Buch aus der Bibliothek auszuleihen, ein Münztelefon zu benutzen, bei Straßenhändlern etwas zu essen zu kaufen oder irgendetwas zu verzehren, ohne zuvor unsere Hände mit Seife und Bürste gründlich gereinigt zu haben. Wir mussten alles Obst und Gemüse vor dem Essen waschen und Abstand zu jedem halten, der einen kranken Eindruck machte oder über eines der verräterischen Poliosymptome klagte.
     
    Als beste Vorbeugungsmaßnahme gegen Polio galt, die Kinder aus der Hitze der Stadt in ein Sommercamp in den Bergen oder auf dem Land zu schicken. Eine andere Möglichkeit war, sie den Sommer etwa hundert Kilometer entfernt an der Küste von New Jersey verbringen zu lassen. Familien, die sich das leisten konnten, mieteten ein Zimmer mit Kochgelegenheit in einer Pension in Bradley Beach, einem kaum eineinhalb Kilometer langen Dorf mit Strand und Promenade, das seit Jahrzehnten eine beliebte Sommerfrische jüdischer Familien im Norden von New Jersey war. Dort konnten die Mutter und ihre Kinder an den Strand gehen und die ganze Woche lang die frische, kräftigende Seeluft atmen, und an den Wochenenden und Feiertagen gesellte sich dann der Vater zu ihnen. Natürlich gab es auch in Sommercamps oder kleinen Küstenorten Poliofälle, doch weil sie nicht annähernd so zahlreich waren, glaubte man allgemein, die Stadt mit ihren schmutzigen Straßen und der stickigen Luft begünstige eine Ansteckung, während ein Aufenthalt in Sicht- oder Hörweite des Meers, auf dem Land oder in den Bergen die bestmögliche Garantie
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