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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel
Autoren: Tess Gerritsen
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setzen und an alles denken, was er von ihr wußte oder zu wissen glaubte.
    Natürlich konnte Alpren mit der Situation in einem gewissen Sinne zufrieden sein. Daniel Dvorak, der kluge Doktor der Medizin, war hereingelegt worden. Diesmal hatte sich der Cop als der bessere Menschenkenner erwiesen. Dvorak saß schweigend da, und Zorn ließ seinen Magen zusammenkrampfen, Zorn auf Alpren und dessen Selbstgefälligkeit und auf Toby, die sein Vertrauen mißbraucht hatte.
    Das Telefon läutete. Alpren nahm ab. Als er den Hörer wieder auflegte, war ein Glänzen in seinen Augen, hart und noch selbstzufriedener. »Man hat ihren Mercedes gefunden.«
    »Wo?«
    »Am Logan Airport. Sie hat ihn im Anfahrtbereich vor der Abflughalle stehengelassen. War wohl in Eile, um noch eine passende Maschine zu erwischen.« Er stand auf. »Jetzt müssen wir nicht mehr rumhängen und warten, Doc. Sie stellt sich nicht.«
    Dvorak fuhr nach Hause. Das Autoradio blieb ausgeschaltet.
    Die Stille machte ihn aber nur noch nervöser. Sie ist also weggelaufen, dachte er, und dafür gibt es nur eine Erklärung: Sie hat ein schlechtes Gewissen und weiß, daß man sie zur Verantwortung ziehen wird. Doch gewisse Einzelheiten stürzten ihn weiterhin in Verwirrung. Schon der Verlauf dieser Flucht: zum Flughafen fahren, den Wagen in der Anfahrtzone stehenlassen, zum Terminal laufen und in irgendein Flugzeug steigen.
    Darin war keine Spur von Logik. Einen Wagen in der Anfahrtzone stehenzulassen, lenkte doch geradezu die Aufmerksamkeit auf ihn. Wer heimlich fliehen wollte, würde seinen Wagen auf einem der großen angrenzenden Parkplätze abstellen, wo er tagelang nicht auffallen würde.
    Sie war also in kein Flugzeug gestiegen. Alpren mochte sie für so dumm halten, doch Dvorak wußte es besser. Der Detective verlor nur Zeit, wenn er jetzt die Passagierlisten der abgeflogenen Maschinen zu überprüfen anfinge.
    Sie mußte einen anderen Fluchtweg genommen haben.
    Kaum im Haus, eilte Dvorak sofort zum Telefon. Er kochte vor Wut, sowohl über Tobys Verrat als auch über seine eigene Dummheit. Er wollte schon Alpren anrufen, legte den Hörer aber wieder auf, als er den Anrufbeant-worter blinken sah. Er drückte den Wiedergabeknopf.
    Die elektronische Stimme sagte einen Anruf um achtzehn Uhr fünfzehn an. Dann kam Tobys Stimme:
    »Dan, ich bin in der Bibliothek im Springer Hospital, Anschluß 257. Hier gibt es etwas in den Publikationslisten, das du sehen mußt.
Bitte
,
bitte,
ruf sofort zurück …«
    Sie hatten beide um halb acht miteinander gesprochen, also war dieser Anruf früher. Er erinnerte sich, daß sie ihm etwas hatte sagen wollen. Aber er hatte ihr das Wort abgeschnitten, bevor sie ihn über das, was sie gefunden hatte, informieren konnte.
    Die Bibliothek im Springer Hospital … etwas in den Publikationslisten, das du sehen mußt. Bitte, bitte, ruf zurück.
    Der Schmerz überkam sie so heftig wie ein Fausthieb in den Magen. Nicht einmal mehr ein Stöhnen brachte sie heraus. Mit geschlossenen Augen, zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten kämpfte sie gegen die Gurte um ihre Gelenke.
    Nur wenn die Wehen nachließen, gab sie einen Seufzer der Erleichterung von sich. Sie hatte nicht erwartet, daß eine Geburt so geräuschlos ablief, sondern sich vorgestellt, sie würde schreien, und zwar laut, hatte angenommen, der Schmerz sei eine laute Angelegenheit. Doch als er dann da war und sie die ersten Wellen einer neuen Wehe herankommen spürte, wie sie ihren Unterleib erfaßte, da ertrug sie das alles ohne einen Laut, wollte nicht schreien, nur sich zusammenrollen und im Dunkeln verstecken.
    Aber
die
würden sie nicht allein lassen.
    Sie waren zu zweit, beide in blauer OP-Kleidung, und nur ihre Augen waren durch den schmalen Schlitz zwischen Mundschutz und Kappe zu sehen. Ein Mann und eine Frau. Niemand sagte ein Wort zu Molly. Für sie war sie bloß ein Objekt, ein primitives Lebewesen, das mit hochgelegten Beinen und gespreizten Schenkeln vor ihnen lag.
    Schließlich ging die Wehe vorbei, und der Schleier von Schmerz, der über ihr gelegen hatte, hob sich wieder. Molly wußte wieder, wo sie sich befand. Das Licht, das wie drei blendende Sonnen auf sie herabstrahlte. Das glänzende Gestell mit dem Tropfbehälter. Der Plastikschlauch, der über eine Nadel in ihre Vene führte.
    »Bitte«, sagte sie. »Es tut weh. Es tut so weh …«
    Sie ignorierten ihre Klage. Die Frau fixierte die Flasche, aus der es in ihre Vene tropfte, und der Mann ihre gespreizten
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