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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot
Autoren: Bernhard Salomon
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siebzehn zum ersten Mal …«
    Er unterbrach sich. Sarahs Kinn lag noch immer auf der Brust, doch nun schwankte ihr Kopf mit dem Schaukeln des Wagens leicht hin und her. Wie Albin vermutet hatte, war sie eingeschlafen.
    Eine Weile folgten sie dem Donaukanal. Auf der A 4 passierten sie die Raffinerie der Mineralölverwaltung mit ihren Türmen und Schloten voller Warnlichter für die am nahen Flughafen Wien-Schwechat landenden Maschinen. Allmählich wurde es heiß im Wagen, doch Albin ließ die Heizung auf voller Kraft weiterlaufen, damit Sarah beim Aufwachen nicht fror.
    In Fischamend fuhr er von der Autobahn auf die Bundesstraße in Richtung Hainburg und Bratislava ab. Es dämmerte bereits. Die schlafenden Dörfer an der Straße nagten an Albins Abenteuerlust. In Maria Ellend zerrte der Wind an einem Bündel schlaffer Luftballons, das an einem Gartenzaun festgebunden war. In Wildungsmauer hatte der Sammeltrupp einen Zeitungsständer mit Sonntagsausgaben übersehen. Zwischendurch luden knallige Schilder von Hotels mit Namen wie Kaiser Augustus oder Oktavian zum Übernachten ein.
    Albin bog in die Landstraße in Richtung Petronell-Carnuntum ab, die sich entlang der Steinmauer des archäologischen Parks in einer leichten Rechtskurve nach unten schwang. Die Abzweigung mit dem braunen Wegweiser in Richtung Heidentor sah er zu spät, so dass das Auto mit der Straßenlage eines voll beladenen Heuwagens hart an den Rand der Kreuzung gepresst wurde. Die Äste einer schlecht gestutzten Erle streiften über das Rolldach aus Trevira-Plane. Sarah wachte auf und rieb sich die Augen. »Wo sind wir?«
    Albin zeigte auf eine Untertunnelung der Bundesstraße unmittelbar vor ihnen. Die Geschwindigkeit hatte er fast bis auf Schritttempo gedrosselt. Er wollte das monströse Heidentor so spektakulär wie möglich vor Sarah auftauchen lassen. »Hier steht ein Denkmal für einen Mann, der sich ein Denkmal setzen wollte«, kündigte er an.
    Der weiße 2CV kletterte jenseits der Unterführung eine lang gezogene Steigung empor. Albin beobachtete Sarahs Reaktion, als das Tor vor ihnen langsam aus dem Boden wuchs. Sie war, anders als die meisten Wiener, nicht mit der Schule hier draußen gewesen. Sie hatte ein teures Privat-Gymnasium besucht, dessen Ausflüge statt zu antiken Ruinen in der Einschicht um Wien gleich zum Kolosseum in Rom geführt hatten. Jetzt zeigte sie nach vorne und nickte. »Ich kann den Mann sehen.«
    Ohne selbst genau hinzusehen, schüttelte Albin den Kopf. »Die Statue des Kaisers wurde irgendwann in den vergangenen zweitausend Jahren geklaut. Bloß ein Teil von dem Gemäuer darum herum steht noch. Weißt du übrigens, warum ich ausgerechnet hierher kommen wollte? Als ich zum ersten Mal …«
    Sarah unterbrach ihn. »Doch«, beharrte sie. »Ich sehe den Kaiser.«
    Sie hatten die Kuppe beinahe erreicht. Albin hielt an, um das Heidentor besser ins Auge fassen und Sarahs Irrtum aufklären zu können. Es war jetzt fast hell, doch die dichte Wolkendecke machte die Stimmung diffus. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, sah auch er jetzt den Schatten über dem Figurensockel.
    Er war irritiert. War das ein seltsames Spiel des Morgenlichts oder tatsächlich eine menschliche Gestalt? Vielleicht hatten ja die Restauratoren, die seit Jahrzehnten unablässig an dem verfallenen Triumphbogen arbeiteten, die Statue einfach nachgebaut.
    Mit dem waagrechten Schaltknüppel rammte Albin den ersten Gang ins Getriebe, ließ die Kupplung los und trat auf das Gaspedal. Genau in diesem Moment schoss hundert Meter vor ihnen ein schwerer dunkler Wagen quer über den Weg. Augenblicke später verschwand das Auto hinter einer Pappelzeile. Das Motorengeräusch verklang.
    Albin hatte wieder angehalten. Was geschah hier? Ging ihn das etwas an? Sollten sie nicht doch lieber umkehren? »Komisch, dass Leute um diese Zeit an so einem einsamen Ort spazieren fahren«, sagte er zu Sarah, obwohl sie selbst das gleiche taten.
    »Das war keine Spazierfahrt«, antwortete Sarah, deren Gesicht die Blässe der Müdigkeit verloren hatte.
    Albin wusste, dass sie Recht hatte. Voller Unbehagen fuhr er weiter. Die Umrisse der Figur unter dem Heidentor wurden schärfer. Sie war lebensgroß und schwarz. Zu allem Überfluss stand sie gar nicht auf dem Sockel, sondern schwebte knapp darüber in der Luft. »Hier spukt es«, sagte er. Seine Hände wurden nass und seine Nackenhaare sträubten sich.
    Sie hielten links von dem Tor, hart an dessen niedriger Umgrenzung aus runden
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