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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot
Autoren: Bernhard Salomon
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Kettchen um den Hals. Er war nicht allein. Eine Frau, die er nicht sehen konnte, redete mit ihm. »Du bist jetzt fünfundvierzig«, sagte sie. »Deine besten Jahre beginnen.«
    Fünfundvierzig? Nicht dreiundvierzig? War er so benommen, dass er nicht einmal mehr sein eigenes Alter wusste? Oder umfasste seine Erinnerungslücke zwei ganze Jahre? Was zum Teufel bedeutete dieses tote Schwein auf der Luftmatratze? Und woher kam das Gefühl, dass er diesen Mord an sich selbst schon einmal erlebt hatte?
    Etwas schnarrte. Das neue Geräusch breitete sich in seinem ganzen Körper aus, als könnte es auch durch die Poren seiner Haut eindringen. Der Karabinerhaken tauchte wieder auf und war jetzt in die Schlinge um seinen Hals gehängt. Das Schnarren kam offenbar von einer Kurbel. Langsam straffte sich das Seil.
    Der Karabinerhaken verschwand über ihm im Schatten des Torbogens. Nun musste sich Markovics aufrichten, wollte er nicht schon jetzt erwürgt werden. Das fiel ihm leichter als erwartet. Er stützte den Hals in der Schlinge ab. Er empfand keinen Schmerz. Es war fast, wie nach oben zu schweben.
    Als er aufrecht auf dem Dach des Volvo stand, brach das Schnarren ab. Es wurde still. Er konnte weit über das Land blicken. Er bemerkte, dass die Dämmerung schon hereingebrochen war. Er sah die Hecken entlang der Wege und die Stoppeln der Weizenfelder. Er würde das Brot nicht mehr essen, das aus diesem Weizen gemacht würde. Eine tiefe Ruhe erfasste ihn.
    Schon das Niedersinken des Wagens beim Einsteigen seines Mörders zerquetschte ihm beinahe den Kehlkopf. Sein Leben war zu Ende. Wo waren seine Erinnerungen? Tränen flossen über sein Gesicht. Er tastete wieder nach dem Ring. Vergeblich. Wahrscheinlich lag er jetzt neben dem Volvo am Boden.
    Markovics wurde müde. Als der Wagen anfuhr, hatte er Lust auf ein Nickerchen. Da tauchte eine merkwürdige Kutsche am Horizont auf. Zuerst dachte er, sie wäre in den österreichischen Nationalfarben Rot, Weiß, Rot gehalten. Doch das Rot, bemerkte er, war hinter seinen Augen. Die Kutsche war ganz und gar weiß.
    Gott? Wenn ihn hier noch jemand herunterholen wollte, musste er sich jedenfalls verdammt beeilen.
     

Kapitel 2
     
    Was suchst du?«
    »Den Autoschlüssel.«
    Albin Fischer kramte in den Taschen seiner Jeans. Lang und hager, mit dunklen Haarsträhnen im blassen Gesicht, trat er aus einem Häuserblock in einer kurzen Sackgasse der Wiener Mariahilfer Straße. Hinter ihm unterdrückte seine Begleiterin Sarah Kvicala ein Gähnen. »Irgendetwas suchst du immer«, sagte sie.
    Albin war 26 Jahre alt und Pauschalist in der Wirtschaftsredaktion des Nachrichtenmagazins Report. Die zwei Jahre jüngere Sarah studierte im sechsten Semester Psychologie. Sie hatten seit Sonntagabend in Albins provisorischer Bleibe, einem ehemaligen Fitnessstudio im obersten Stockwerk des Häuserblocks, eine Party zu zweit gefeiert.
    Stundenlang hatten sie Gustav Mahler und Café Del Mar gehört und Sarahs selbst gemachte Mürbkekse verspeist. Später hatte Sarah ihm Lieder von Joan Baez und afrikanische Volkslieder aus dem Fundus ihrer aus Namibia stammenden Mutter vorgesungen. Albin hatte sie schließlich zu dem späten Ausflug überredet. »Da ist er ja«, sagte er jetzt und schwenkte den Autoschlüssel.
    Sarah holte auf und hakte sich bei ihm ein. »Bist du gar nicht müde?«
    »Wir können tagsüber schlafen«, sagte Albin, der wusste, dass Sarah montags keine Vorlesungen hatte. »Die Redaktion übersiedelt heute in eines der neuen Hochhäuser auf der Donauplatte. Wir haben alle frei.«
    Sarah gab sich mit einem Brummen geschlagen. Albin war klar, dass sie nur mitkam, weil es sein Fest und sie für weitere Einwände zu müde war. Sich in den Wagen plumpsen zu lassen war für sie wohl der bequemere Weg, mit seinem spontanen Tatendrang umzugehen. Albin hoffte, dass sie ihre Müdigkeit überwinden und den Ausflug noch genießen würde.
    Sein weißer Citroën 2CV6 Club stand direkt vor dem Haus. Die ganze Sackgasse war mit zwei Stummelschranken als Kundenparkplatz für ein im Block untergebrachtes Elektrogeschäft abgesperrt. Albins Ente passte allerdings dank ihrer Breite von nur 1,60 Metern haargenau zwischen den Schranken durch.
    »Wohin fahren wir?«, erkundigte sich Sarah, als sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte und der Boxermotor nach mehreren Versuchen mit dem ihm eigenen Singen ansprang.
    Schräg gegenüber tauchte die Mariahilfer Kirche auf. Eine hellgraue Steinskulptur Joseph Haydns
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