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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot
Autoren: Bernhard Salomon
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wenigen Stunden als Hauptverdächtige gejagt werden.
    Kurz vor der Unterführung warf Albin einen Blick in den Rückspiegel. Der Schatten im Heidentor erinnerte ihn diesmal nicht mehr an eine Statue. Dort war ein vierzig- bis fünfzigjähriger Mann in schwarzen Klamotten wie ein Pferdedieb im Wilden Westen aufgeknüpft worden. Vermutlich hatte er auf dem Dach des dunklen Wagens gestanden, bis der unter ihm weggefahren worden war. Der Mann musste noch gezuckt haben, als sie ihn zum ersten Mal bemerkt hatten. »Wie klärt man Morde auf?«, fragte er Sarah. Er war in diesem Moment sicher, dass sie die Antwort wusste.
    »Du sprichst mit den Menschen im Umfeld des Opfers und findest heraus, was sie bewegt, wie sie leben und was sie verbindet.«
    »Das ist alles?«
    »Du suchst doch immer etwas. Deine Vergangenheit, die Zufriedenheit oder zumindest deine Autoschlüssel. Jetzt suchst du eben einen Mörder.«
    »So einfach ist das nicht.«
    »Doch. So einfach ist das.«
    Albin schaltete irrtümlich den Scheibenwischer ein. »In Petronell-Carnuntum muss es einen Hauptplatz geben«, sagte er. »Die meisten Hauptplätze haben eine Telefonzelle.«
    Sarah nickte.
    »Der Ausflug war wohl doch keine so gute Idee«, sagte Albin kleinlaut.
    »Weshalb wolltest du eigentlich ausgerechnet hierher kommen?«
    »Das ist jetzt egal.«
    Mit wenig Hoffnung suchte Albin in der grauen Wolkendecke nach einer hellen Stelle, durch die vielleicht doch noch die Sonne brechen würde.
     

Kapitel 3
     
    Die Zeit war eine mächtige, weiße Frau. Zwischen ihrem Daumen und ihrem Zeigefinger flog eine Möwe, ohne sich von der Stelle zu bewegen.
    Albin betrachtete das Schauspiel mit dem dringenden Wunsch, darüber zu berichten: Als erstem Menschen der Welt offenbarte sich ihm das Rätsel der Unendlichkeit. Er hoffte, dass er sich beim Aufwachen noch daran erinnern würde. Dann würde er einen Artikel darüber schreiben.
    Gleich darauf fuhr er tatsächlich aus dem Schlaf hoch. Sein eben noch tief empfundenes Gefühl des Begreifens zerfloss. Bloß die Erinnerung an einen verworrenen Traum blieb zurück. Und das schale Bewusstsein, dass der Weg eines Wachen zu solchen Erkenntnissen beschwerlich war.
    Egal, dachte Albin. Das nüchterne Leben forderte seinen Tribut. Es war Dienstag, sieben Uhr morgens, und in der Redaktionssitzung des Wirtschaftsressorts um elf würde er handfestere Themen als eine Abhandlung über die Ewigkeit vorschlagen müssen.
    Er lag auf einem aufblasbaren Bett aus violettem Gummi. Auf der Unterseite glatt wie ein Schlauchboot, war es oben mit einem samtigen Film beschichtet. Bei seinem Einzug in das verlassene Fitnessstudio vor knapp einem halben Jahr hatte Albin die Matratze in einem Sportgeschäft gekauft. Seit er den Luftdruck mit einem großen Saug- und Blasebalg richtig dosierte, schlief er ganz gut darauf. Jetzt setzte er sich auf, stellte die Füße auf den kühlen Boden und rieb sich die Augen.
    Sein Schlafzimmer war ein Kraftraum im hintersten Teil des Studios. Über der mannshohen Verspiegelung der Wände hingen Filmplakate mit Arnold Schwarzenegger in Terminator II, Running Man, Eraser und End. of Days. Durch drei verstaubte Fenster fiel Sonnenlicht herein. Der quälend langsam verstrichene und durch und durch düstere Montag kam Albin auch nur noch wie ein Traum vor.
    Er nahm seine Kleidung vom Vortag von einem Gestell für Hanteln. Damit durchquerte er das Studio mit seinen Ergometern, Laufbändern und Kraftbänken, die vom einstigen Pächter des Studios stammten. Der Mann war eines Tages spurlos verschwunden und hatte den Hausbesitzer Wolfgang Gering mit Mietrückständen für ein halbes Jahr und dem seltsamen Interieur zurückgelassen.
    Neben der ehemaligen Rezeption tapste Albin über eine eiserne Wendeltreppe ein halbes Stockwerk höher. Dort lagen die Sauna und die acht Männerduschen. Die acht Frauenduschen benutzte Sarah, wenn sie wie heute bei ihm schlief.
    Beim Duschen verdrängte Albin die Erinnerung an den Schatten der entweichenden Seele, den er beim Umklammern des Toten am Heidentor noch gespürt hatte. Er verdrängte auch jene an die niederösterreichischen Beamten, die ihn und Sarah stundenlang am Gendarmerieposten Wildungsmauer hatten warten lassen. Erst gegen Mittag hatte sie ein schlecht rasierter Kriminalbeamter der Polizeidirektion Niederösterreich vernommen und dabei wie Verbrecher behandelt.
    Sarah und Albin hatten nicht viel zu sagen gehabt. Albin hatte seine tiefe Abneigung gegen Staatsorgane jeder
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