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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot
Autoren: Bernhard Salomon
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durch das gerade sein Gehirn samt seinen Überlebensinstinkten auf das Blechdach des Wagens tropfte.
    Schritte. Die Schritte seines Mörders. Markovics riss sich zusammen. Warum war er heute Nacht hier herausgekommen? War er mit seinem Mörder verabredet gewesen? Kannte er ihn? Stand er ihm sogar nahe? Seine Erinnerung ließ ihn im Stich.
    Er versuchte es andersherum. Weshalb sollte er umgebracht werden? Nach 43 Jahren Lebenserfahrung wusste er, dass manche Menschen unter bestimmten Bedingungen aufbrachen wie Muscheln, in denen giftige Skorpione lebten. Auch solche, die einem nahe standen. Aber gleich ein Mord? Und wieso er?
    Immerhin erinnerte er sich jetzt wieder an die Fahrt hierher. Er war auf der Bundesstraße gekommen, die nach Bratislava führte. Das Wiener Stadtgebiet hatte er bei der Simmeringer Heide verlassen. Er erinnerte sich daran, die Flughafenausfahrt und die Raffinerie der Mineralölverwaltung mit ihren Warnlichtern für die landenden Maschinen passiert zu haben. Doch wo er davor gewesen war, wusste er nicht mehr. Irgendwo im Asphaltgewirr um die Südosttangente verlor sich seine Erinnerung.
    Vielleicht half ihm der Ring am kleinen Finger seiner linken Hand weiter. Er trug sonst nie Ringe. Wem gehörte er? Hanna fiel ihm ein. Er kannte sie seit vierzehn Jahren. Eine Beziehung war es nicht, obwohl sie seit zwölf Jahren davon redete. Sex ja, nur ohne Drumherum. Er hatte nie bei ihr übernachtet und auch sonst ihr Schlafzimmer mit dem Nachthemd unter dem Kopfkissen und den Taschentüchern zwischen der Matratze und dem Bettgestell gemieden. Affären hatte er absichtlich nur halbherzig vor ihr verheimlicht. Nein, ihr Ring war es nicht. Sie bedeutete ihm etwas, doch nichts von der Art, was zum Austausch von Kleinodien der Liebe führte.
    Es gab noch eine Frau. Er hatte sie oft zum Spaß als wichtigste seines Lebens bezeichnet. Seit drei Jahren tippte sie als freie Mitarbeiterin der Agentur seine Ideen von einem Tonband ab. Es stand in ihrer Wohnung und war für ihn telefonisch erreichbar. Sie war eine Art lebender Notizblock, ein Service der Firma für Kreative, die ihre besten Ideen immer in den falschen Momenten hatten. Wenn ihm beim Autofahren ein guter Dialog für einen Werbefilm einfiel, griff er zum Mobiltelefon und sprach ihn aufs Band. Wenig später lag alles sauber abgetippt bei seinen Fax-Eingängen.
    Allerdings war er einer Begegnung mit dieser Frau immer aus dem Weg gegangen. Nicht einmal ihren Namen hatte er bisher wissen wollen. Sie sollte nicht mehr als eine Telefonnummer sein und weder Gesicht noch Wesen haben. Das hätte ihn beim Besprechen des Bandes irritiert. Ihr gehörte der Ring auch nicht. Wem sonst? Ihm fiel niemand mehr ein. Wer ermordete ihn gerade?
    Unter ihm wurde die Autotür zugeschlagen und der Motor angelassen. Erster Gang, wenig Gas. Als der Volvo mit dem rechten Vorderrad über einen Stein holperte, rutschte Markovics fast vom Dach. Bremslichter schimmerten rot und erloschen wieder. Ein gewaltiger Schatten fiel über ihn. Der Ziegelbogen des Heidentors wölbte sich über seinem Gesicht.
    Wieso war er eigentlich in einem Volvo Kombi gekommen? In so einer Familienkutsche für Leute mit Kühltaschen und Klapprädern im Kofferraum? Er fuhr einen schwarzen Alfa, und das mit Leidenschaft. Ihm wurde schlecht.
    Unter ihm stieg jemand aus. Ein dicker, borstiger Strick mit einem Karabinerhaken am Ende senkte sich auf Markovics herab. Er erklärte das Gefühl von Stecknadeln in seinem Hals: Es kam von einem weiteren Strick. Sein Kopf steckte in einer Schlinge. Mord durch Erhängen, konstatierte er emotionslos, als wäre er sein eigener Gerichtsmediziner.
    Der Haken war halb so groß wie seine Handfläche. Er streifte Markovics am Bauch, glitt auf das Autodach und schlitterte zu dessen Kante. Markovics reagierte nicht. Der Schmerz betäubte ihn. Sein Gehirn war nicht mehr in der Lage, seinen Gliedmaßen Handlungsaufträge zu erteilen.
    Seine Gedanken huschten nur ziellos umher. Sie agierten nach ihrem eigenen Plan. Sie waren Geister in einem dunklen, trüben Wald, wo sie Steine umdrehten, unter denen eine seltsame Erinnerung auftauchte: Ein totes Schwein trieb mit durchgeschnittener Kehle auf einer Luftmatratze in einem Badesee. Menschen am Strand deuteten mit dem Finger aufs Wasser hinaus.
    Er selbst war auch da, mit schwarzer Badehose, Haaren auf der Brust, niedriger Stirn, feucht nach hinten gekämmtem Haar, langen Koteletten und seiner allerersten Euromünze an einem goldenen
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