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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot
Autoren: Bernhard Salomon
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    Kapitel I
     
    Wieder bei Bewusstsein, sah Ronald Markovics nur Funken, die wie Glühwürmchen durch die Finsternis hinter seinen geschlossenen Augen flirrten. Ein Schlag hatte ihn mit dumpfem Krachen von hinten getroffen und umgeworfen. Jetzt wummerten Presslufthämmer in seinem Kopf, sein Hals fühlte sich an wie mit Stecknadeln gespickt und der Rest seines Körpers schien nichts mehr mit ihm zu tun zu haben.
    Markovics wusste nicht, wer er war und wo er war. Er erinnerte sich nur, in einem dunkelblauen Volvo Kombi angekommen zu sein und den Wagen an einem Wegrand geparkt zu haben. Beim Herunterschalten der Scheinwerfer auf Standlicht waren Schlehdornsträucher in der Dunkelheit versunken. Er war über eine struppige Wiese gestapft, in der sich die Stulpen seiner schwarzen Hose mit der Nässe des nächtlichen Taus voll gesogen hatten. Nach dem Schlag war die Wiese rasend schnell auf ihn zugestürzt. Er hatte sie nicht einmal mehr mit den Armen abfangen können. Jetzt lag er hilflos auf dem Rücken und nur der Schmerz in seinem Schädel trennte ihn von neuerlicher Bewusstlosigkeit.
    In der Nähe hörte er ein metallisches Klirren. Markovics schlug die Augen auf und starrte senkrecht nach oben in eine fahle Finsternis. Die kühle Oktobernacht neigte sich ihrem Ende zu. Hauchdünne Nebelschlieren zogen unter dem grauem Himmel vorbei, der sternenlos tief über der Erde hing. An den weiten Feldern, die von namenlosen Rinnsalen und schnurgeraden Schotterstraßen unterbrochen waren, erkannte er den Ort wieder: Der einsame Fleck befand sich eine halbe Autostunde östlich von Wien. Mitten im Ackerland lag hier zwischen verstreuten Straßendörfern eine alte Römersiedlung namens Carnuntum. Warum, zum Teufel, war er niedergeschlagen worden? Und warum ausgerechnet hier?
    Noch ein Klirren drang durch die einsame Nacht. Von dem Volvo kam es nicht. Der war verschwunden. Markovics drehte seinen pochenden Kopf nach rechts. Die Standlichter des Wagens, die nach seiner Ankunft durch die Dunkelheit gesickert waren wie zwei Tropfen Milch in einer Tasse Kaffee, waren nicht mehr zu sehen.
    Das metallische Geräusch, das sich nun in rascherer Abfolge wiederholte, kam von einer Stelle links von ihm. Die Anstrengung, den Kopf dorthin zu wenden, brachte ihn beinahe um den Verstand. Dunkel und drohend tauchte dabei das Heidentor, ein verfallener antiker Triumphbogen, in seinem Blickfeld auf. Fahles Licht schimmerte zwischen den gewaltigen Säulen und unter dem flach gewölbten Rundbogen durch. Wie eine Schimäre aus einem düsteren Traum überragte es fünfzehn Meter hoch die Ebene. Was in aller Welt ging hier vor? Wer war dafür verantwortlich?
    Markovics hatte keine Ahnung. Im Moment wusste er noch immer nicht genau, wer er selbst war. Erst seine schwarze Hose mit den nassen Stulpen brachte diesen Teil seiner Erinnerung zurück: Das Kleidungsstück gehörte zu einem Brioni-Anzug von dem teuren Herrenausstatter Schwarzl & Co. im Wiener Judenviertel.
    Eines ergab nun das andere: Er war ein Mann, der sich Luxus leisten konnte. Er war 43 Jahre alt, Single, ein gut bezahlter Texter bei einer noblen Wiener Werbeagentur. Das alles stellte er ohne Erleichterung fest, denn es erklärte nichts.
    Drüben beim Heidentor sirrte etwas durch die Luft wie ein lang gezogener Peitschenschlag. Es landete am Boden, mit einem Rascheln im Gras, als husche ein Tier davon. Trotz seiner Schmerzen und seiner Benommenheit musste er etwas unternehmen. Markovics stemmte sich auf den Ellbogen hoch. Dabei entdeckte er den Volvo wieder: Er befand sich genau unter ihm. Das Autodach gab unter dem Druck nach. Gleichzeitig bemerkte er, dass er an Händen und Füßen gefesselt war.
    War das ein Albtraum? Markovics lauschte in sich hinein und hörte bis in die Tiefen seines Bauches das Feuer seiner Kopfschmerzen wüten. Dann horchte er in die Welt um sich, wo gerade jemand stolperte und einen Fluch unterdrückte. Nein, er träumte nicht. Er war wach und bei Besinnung. Jemand hatte ihn von hinten niedergeschlagen, verschnürt, auf das Autodach gezerrt und fuhr nun in aller Ruhe mit der Umsetzung eines offensichtlich teuflischen Planes fort. Markovics fand nur eine logische Erklärung: Er war eben dabei, ermordet zu werden.
    Merkwürdig, wie egal ihm das war. Nichts in ihm wehrte sich dagegen. Der Gedanke machte ihn sogar müde. Er wollte nur noch Ruhe haben. Gut möglich, dass er unter Drogen stand. Schwere Beruhigungsmittel vielleicht. Oder sein Schädel hatte ein Loch,
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