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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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Fortgang, als die Haupterbin am offenen Grab weinend zusammenbrechen wollte und der Pfarrer ihr zu verstehen gab, es sei angemessen, sich nun einmal zusammenzunehmen. Bald war auchMarie an der Reihe, einen letzten Blick auf den pompösen, in kunstvoller Drechselarbeit verzierten Sarg zu werfen. Sie gab der weißen Rose in ihrer Hand einen zärtlichen, ehrlichen Kuss und ließ sie auf den Sarg fallen. Und als Marie dachte, nun könne es wirklich nicht mehr peinlicher kommen, da wurde es erst richtig unangenehm. Kondoliert wurde Pasi und Nike, die unweit des Grabes standen – und sonst niemandem. Sich dessen blitzschnell bewusst werdend, rauschten die Nackentattoos so ungestüm, wie sie gekommen waren, von dannen, und wer genau hinhörte, konnte wahrnehmen, wie die Vögel wieder zu zwitschern begannen und ein erleichtertes Stöhnen durch die Menge ging. Auch der Stern, der den schlichten Namen Sonne trägt, traute sich, wenngleich aufgrund der Diesigkeit etwas larmoyant anmutend, wieder heraus.
    Pasi stand aufrecht in ihrem schwarzen Kleidchen, weinte sehr, ließ sich aber standhaft wohl einhundert Mal über den Kopf streicheln und vernahm vieles über ihren Vater, das sie niemals an einen schlechten Gedanken verraten würde. Selbst Marie wurde von einigen in den Arm genommen, was sie wunderte, ja fast genierte, da sie so lange nicht hier gewesen war und sich – wie damals – in Feindesland fühlte. Ausgerechnet diejenigen sprachen auch ihr eine gewisse Anteilnahme aus, die sie vor neun Jahren, als sie gegangen war, als vollkommen verrückt und undankbar verfemt, kein Wort mehr mit ihr gewechselt, sie sogar als geldgierig hingestellt hatten.
    Letzteres verstand Marie bis heute nicht. Undankbar ja, wenn man bedachte, wie sehr Adam sich materiell um Marie bemüht hatte, vorausgesetzt, sie hatte stets pünktlich ihre Ware abgeliefert. Verrückt sicher auch, war es doch tatsächlich verrückt, eine so blendende Situiertheit einfach so ins Blaue hinein aufzugeben. Aber geldgierig? Wieso gilt man alsgeldgierig, wenn man Geld verlässt? Es war einfach nicht einleuchtend und nur mit dem Wunsch der Leute nach schnell abhakbaren Erklärungen zu begründen, woher auch immer man diese holte. Lange knabberte Marie schon an dieser Frage herum. Heute wollte sie sie nicht klären müssen und ließ die täuschend echten Liebkosungen entgegenkommend geschehen.
    Wie unterschiedlich Beerdigungen sind, dachte Marie, als sie sich am Nachmittag, kurz vor ihrer Abreise, noch einmal allein auf den Weg zu Adam machte. Schon rein optisch: Dort, wo kein Fell ist, wird es versoffen, wie es sich gehört. Und hier, wo das Fell nicht dicker sein könnte, herrscht eine Eiseskälte, und alle flüchten wie bei einer umgekehrten Sternfahrt so schnell wie möglich in verschiedene Richtungen.
    Die Friedhofsgräber hatten ihre Arbeit bereits vollbracht. Das Grab war zugeschüttet und sah nun mit all den teuren, großen Gestecken aus aller Welt sehr festlich aus. Sogar eine Ordnung war erfreulicherweise zu erkennen.

28
    Adam und Marie finden endlich zu einem Dialog,
    in dessen Verlauf es zu Tränen, aber auch zur
    Aussprache kommt
    Nun liegst du hier, dachte Marie und versuchte stumm und verzweifelt, ein letztes Mal mit Adam zu kommunizieren, als sei aufgrund der Frische der Erde die Möglichkeit dazu noch gegeben. Warum liegst du hier? Und warum stehe ich hier? Ich verstehe es nicht. Vielleicht ist es gar nicht wahr. Lach nicht. Du bist ein Schnelldenker, ein Realist, und findest es sicher selten dämlich, wie man vor einem Grab stehen und sich fragen kann, wieso. Typisch Frau, was? Na und. Wenn Frauen nicht typisch Frauen wären, dann würdet ihr Männer sie nicht mögen. Ich wollte übrigens nicht kommen. Ich hatte Angst und war vollkommen kopflos. Aber meine Mutter hat mir zugeredet – Pasi müsse sich auf jeden Fall von dir verabschieden können, und ich müsse selbstverständlich an ihrer Seite sein. Recht hatte sie. Kopflos bin ich nun nicht mehr. Dafür fassungslos.
    Jetzt musst du nicht mehr kämpfen. Einen schlimmen Kampf hast du ausgetragen. Jeder weiß, wie sinnlos es ist, ausgerechnet gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs zu kämpfen. Du wusstest es sicher auch und hast dich trotzdem drauf eingelassen. Ist auch richtig so. Immerhin hattest du etwas Gutes zu verteidigen, dein Leben, oder? Dich. – Und gut warst du schon, ziemlich gut sogar. Was? Ich soll jetzt nicht sentimental werden und mir was vormachen? Keine Angst, werde ich nicht. Ich
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