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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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natürlich nicht glauben können. Verlasser wiederum können es nicht zugeben, selbst zu leiden, aus Angst, diese dümmliche Möchtegernwahrheit ›Hättest ja bleiben können!‹ vor den Bug geknallt zu bekommen. Ja, da guckst du angewidert, schon klar. Ist aber so, daran ändern weder du noch ich etwas. Meinst du, für den Verlasser ist es ganz prima, das bisschen, was vielleicht noch heile ist, nun auch noch zu zertöppern? Nein, das ist großer Mist. Man muss sich dafür rechtfertigen, ist der Buhmann. Selbst wenn es nur noch eine einzige Tasse vom ganzen Service war – wer diese letzte zerschlägt, wird fürs Ganze verantwortlich gemacht. Nicht nur von anderen, nein! Man erklärt sich selbst zum Schuldigen, kann nicht mehr in den Spiegelsehen, sucht nach Bestrafung, während der Verlassene sich ausdauernd seinem Leid hingeben, sich trösten lassen und nach Gutdünken Recht sprechen darf. Dabei hat der Verlassene den, der jetzt als verächtlicher Verlasser dasteht, vielleicht schon viel früher verlassen. Hat nur niemand gemerkt außer dem Verlasserverlasser. Hm? Schön doof, oder? Hättest mal ab und zu einen guten Woody Allen gucken sollen. Oder mit mir reden!
    Warum liegst du jetzt eigentlich da unten, und warum sprichst du nicht mit mir? Du hast mich verlassen, bevor ich dich verließ. Aber das wusstest du nicht, du hast es nicht gemerkt, und ich mache dir daraus auch keinen Vorwurf. Nur jetzt: Musstest du mich denn so gründlich verlassen? Sollst du wirklich für immer aus meinem Leben getilgt sein? Wenn du geahnt hättest, wie wenig ich das wollte. Du hinterlässt mich grau in grau. Ich bin nicht verzweifelt über deinen Tod, denke nicht, wie soll mein Leben jetzt bloß ohne dich weitergehen. Dazu hänge ich selbst viel zu wenig an meinem Leben. Aber es wird nun doch öder für mich, weiter auszuharren.
    Verzweifeln lassen mich allerdings die Umstände, die dich da unten hineingezwungen haben, die Hoffnungslosigkeit, die ausgerechnet dann, wenn sie am größten und am meisten berechtigt ist, die größte und am wenigsten berechtigte Hoffnung gebiert. Dass du dem ausgesetzt warst, das lässt mich den Mut verlieren, an meinem eigenen Glück zu arbeiten. Ich muss es trotzdem tun, bin dazu verpflichtet. Was sollen sonst die Kinder sagen? Wenn ich es nicht für sie versuche, dürften sie es mir berechtigterweise ankreiden.
    Jaja, die Kinder, die sind schon gold. Pasi hat sich kürzlich die »Ballade pour Adeline« selbst beigebracht, dieses grausige Stück. Aber sie spielt es toll, doppelt so schnell wie Richard Clayderman damals, mit ihren unverschämt flinken Fingern.Sie ist noch nicht so weit, Chopin zu lieben, aber ich bleibe dran. Und irgendwann soll sie Beethovens »Pathétique« für dich spielen, wie deine Mutter sie für dich gespielt hat, als du ein Kind warst.
    Weißt du, wenn du von deiner Mutter gesprochen hast und davon, wie sie Klavier spielte, dann veränderte sich dein Gesicht, es wurde ganz unkaufmännisch, richtig selig. Ich glaube, das waren die einzigen Augenblicke, in denen du ganz bei dir warst, glücklich sogar. Eine Erinnerung kann einen für einen Moment glücklich machen, oder? Für Täuschungsmanöver ist sie aber auch gut. War es diese Erinnerung, die du mit Liebe zu mir verwechselt hast, als du mich zum ersten Mal am Klavier sahst? Da muss ich wohl ein Versprechen abgegeben haben, das zu halten ich nicht imstande war. Ebenso wenig, wie du deines halten konntest, als du zunächst einmal der starke, potente, fast doppelt so alte Beschützer warst. Vor meinem ersten Alleinflug, als mir die Knie zitterten, da habe ich nicht mich, sondern dich gefragt, ob ich das auch wirklich könne. ›Natürlich kannst du das‹, hast du mit einer Selbstverständlichkeit geantwortet, ›meinst du, sonst würde ich dich fliegen lassen?‹ Wer bei dir Fliegen gelernt habe, der könne es auch. Da verging dann das Kniezittern wieder, und ich hob ab mit dem sicheren Gefühl, dass du keine halben Sachen machst. Du hast unten auf dem Flugplatz gestanden, hast mich dann vom Turm aus beobachtet. Meine Lebensversicherung warst du in dem Moment. Es war ein Fehler, diesen Eindruck auf unser gesamtes Leben übertragen zu wollen. Du als Übervater, das war eine Zumutung. Und ich als Hätschelmutter, die dir Nutella zum Sofa bringt, das war auch eine. Hätten wir doch damals schon gewusst, dass man in der Ehe nicht Opfer seiner verschwommenen Erinnerungen werden darf. Dass man den anderen damit maßlos
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