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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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der Himmel grau. Die frisch gebackene junge Witwe eilte gramgebeugt, rechts und links gestützt auf ihre tätowierten und gepiercten Gleichgesinnten, ohne aufzusehen – denn sie konnte nichts sehen, weil sie Richtung Boden schluchzen musste und außerdem eine schwarze Sonnenbrille auf der Nase hatte – durch den kalten Nieselregen auf den Eingang der Aussegnungshalle zu. Eben noch traurig, erstarrten die Gesichter der Trauergäste, die ein etwa zwanzig Meter langes Spalier bildeten, beim Anblick des kleinen, grausigen Geschwaders. Einige wendeten die Köpfe ab, um sich den Abschied von ihrem Freund nicht vermiesen zu lassen, andere sahen wacker hin, wütend entschlossen, das nun auch noch mitzunehmen. Zu Letzteren gehörte Marie, und auch Pasi sah nicht weg. Sie sahen in ein Gesicht, dessen Gewaltbereitschaft Maries Ahnungen der letzten Jahre weit übertraf und das Pasi, Marie schwor es sich, nie wieder zu sehen bekommen sollte.
    Was jetzt geschah, schien einem schlechten Drehbuch entnommen: Die Trauerhalle blieb – abgesehen von der Witwe samt Begleitgruppe, Maries Familie sowie Adams engstem Familienkreis – leer. Keiner der Freunde, Weggefährten und Fliegerkameraden machte Anstalten, den Schirm zusammenzuklappen und sich hineinzubegeben. In heiligem Hass zog man es vor, draußen den zu erwartenden verlogenen Peinlichkeiten zu entgehen. Auch Marie wäre gerne im freundlichen Regen stehen geblieben, allein Pasi war ein solch komplizierter Affront nicht zuzumuten. Als sie drinnen Platz genommen hatten, Pasi sich zwischen Oma und Mutter presste und es nicht mehr wagte, in Richtung Witwe zu sehen, fragte Marie sich, ob dies nicht die größere Zumutung sei als die Beerdigung.
    Gestern Abend noch, als sie ganz für sich allein eine halbe Stunde lang vor dem Aufgebahrten in dieser Halle gesessen hatten, um in Ruhe einem innigen Gedanken an ihn nachzuhängen, war Pasi nur traurig gewesen, ungestört von Menschen, die ihre kleine Seele misshandelten. Nachts hatte sie einen Brief geschrieben, der nun – die Witwe hatte es nicht mehr verhindern und ihn selbst durch die riesigen, aus roten Rosen geformten Herzen nicht verdecken können – an den Sarg gelehnt war und mit ihm versenkt werden würde. Jetzt hatte Pasi Angst, sie zitterte angesichts der mit tiefer Stimme schluchzenden Frau, die es fertiggebracht hatte, sie und ihren Vater mit aller Niedertracht zu entzweien. Sie konnte noch nicht wissen, dass ihr Vater bis zum Schluss Herr seiner Sinne gewesen war und es selbst in der Hand gehabt hätte, das Schiff wieder Richtung Hafen zu lenken.
    Er hatte es versäumt, und deshalb musste er sich jetzt, ausgelöst durch einen Knopfdruck auf den Ghettoblaster, einen deutschen Schlager anhören, von einem Stern handelnd, der ab sofort angeblich seinen Namen trägt und – Achtung,Reim! – alle Zeiten überlebt, der noch dazu geschenkt heut Nacht über die Liebe wacht. Es war kaum zu ertragen. Marie und ihre Mutter sahen betreten zu Boden und flehten inständig, es möge schnell vorbeigehen, dieses sorgsam ausgewählte Stück würdevoller Abschiedsmusik.
    Unvermeidlich wurde auf der Elektroorgel »Air« gespielt, natürlich, es passte ja so wunderbar zu jemandem, dessen Leben die Fliegerei gewesen war, und auch um Reinhard Meys Wolkenlied – eigentlich ein gutes, dachte Marie, aber hier irgendwie zur Armseligkeit verdammt – kam man nicht herum. Nachdem der Pfarrer unter dem fortwährenden lauten Klagen der Witwe den Verblichenen schwuppdiwupp wieder in den Schoß der katholischen Kirche aufgenommen hatte – was vielleicht nicht schaden konnte, mutmaßte Marie, ihr aber angesichts Adams sehr wohl mutwilligen Austrittes vor einigen Jahren doch etwas vermessen vorkam –, war es an der Zeit, Adam der Erde zurückzugeben.
    Marie ließ Pasi mit Tante Nike direkt hinter der Haupttrauernden antreten und reihte sich selbst mit ihrer Mutter gebührend weit hinten ein. Die Grabstelle von der Größe einer Wohnküche war Marie nicht unbekannt. Sie war ihren Schwiegervater, den sie zu ihrem ehrlichen Bedauern nie kennengelernt hatte, häufig besuchen gegangen. Später, als Pasi dann auf der Welt gewesen war, hatte sie ganz oft den Kinderwagen dort vorbeigeschoben und freundlich gegrüßt – der Opa möge doch ein Auge auf seine glucksende Enkelin haben. Heute lag der Grabstein, der an einen Findling erinnerte und dessen Aufschrift – bis jetzt jedenfalls – sehr schlicht gehalten war, abseits.
    Das schlechte Drehbuch nahm seinen
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