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Rosendorn

Rosendorn

Titel: Rosendorn
Autoren: Jenna Black
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bemühte sich, würdevoll zu wirken. Was nicht ganz einfach war, da sie sich am Geländer festklammern musste, um nicht kopfüber die Stufen zum Parkplatz hinunterzufallen. »Ich bin sehr wohl in der Lage, selbst zu fahren«, ließ sie mich wissen.
    Wut kochte in mir hoch, doch ich wusste genau, dass es nichts bringen würde, jetzt zu explodieren – ganz egal, wie gut mir das täte. Mit Ruhe und Vernunft – wenn auch nur gespielt – würde ich sie vermutlich schneller auf den Beifahrersitz bekommen und sie so aus dem Licht der Öffentlichkeit schaffen können. Ein lautstarker Streit vor allen Leuten war das Letzte, was ich im Moment wollte. Mom hatte ihnen schon genug Gesprächsstoff geliefert.
    »Lass mich trotzdem fahren«, entgegnete ich. »Ich muss üben.« Wenn sie auch nur ein klitzekleines bisschen nüchterner gewesen wäre, hätte sie die unterdrückte Wut in meiner Stimme bemerkt, aber in ihrem Zustand merkte sie gar nichts. Zu meiner Erleichterung reichte sie mir zumindest die Schlüssel.
    Auf der Fahrt nach Hause hielt ich das Lenkrad vor Anspannung so fest umklammert, dass meine Knöchel weiß hervortraten. Meine Mom schwärmte gerade enthusiastisch von meinem Auftritt, als der Schnaps schließlich gewann und sie einschlief. Ich war dankbar für die Stille, obwohl ich wusste, dass es eine ziemliche Quälerei werden würde, sie in ihrem Zustand aus dem Auto zu hieven und ins Haus zu schaffen.
    Als ich auf unsere Einfahrt bog und über die vor mir liegende Aufgabe nachdachte, wurde mir klar, dass ich so nicht weiterleben konnte. Nichts konnte schlimmer sein, als mit meiner Mutter zusammenzuwohnen, ständig für sie zu lügen und verschleiern zu müssen, dass sie vollkommen betrunken eingeschlafen war, statt sich mit meinen Lehrern zu treffen oder mich zu einer außerschulischen Veranstaltung zu fahren. Seit ich denken konnte, hatte ich in Todesangst gelebt, dass meine Schulfreunde – die paar, die ich trotz all unserer Umzüge hatte kennenlernen können – herausfinden könnten, was meine Mutter war, und mich im selben Atemzug auch für einen Freak halten könnten. Eine Angst, die, wie ich leider auf die harte Tour herausgefunden hatte, nicht unbegründet war.
    In dieser Familie war ich, seit ich fünf war, die Erwachsene. Und allmählich war es an der Zeit, mich um mein eigenes Leben zu kümmern. Ich würde Kontakt zu meinem Vater aufnehmen, und solange ich nicht das Gefühl hatte, dass er
tatsächlich
ein widerlicher Perverser war, würde ich bei ihm wohnen. In Avalon. In der Wilden Stadt, die der Übergang zwischen unserer Welt und Faerie, der Welt der Feen, ist. In der Stadt, in der Magie und Technologie in so etwas wie Eintracht nebeneinander existieren. Sogar in Avalon, dachte ich, werde ich ein besseres, normaleres Leben führen als jetzt mit meiner Mom.
    Noch nie hatte ich mich so sehr geirrt.

[home]
    1. Kapitel
    M eine Handflächen waren verschwitzt, und mein Herz schlug mir bis an den Hals, als das Flugzeug zur Landung in London ansetzte. Ich konnte kaum glauben, dass ich das hier wirklich machte, konnte kaum glauben, dass ich den Mut gefunden hatte, von zu Hause wegzulaufen. Ich wischte mir die Hände an der Jeans ab und fragte mich, ob Mom mein Verschwinden wohl schon bemerkt hatte. Sie schlief gerade einen Mordsrausch aus, als ich das Haus verließ, und es war nicht ungewöhnlich, dass sie nach solchen Gelagen vierundzwanzig Stunden außer Gefecht war. Ich wünschte mir, Mäuschen spielen zu können, wenn sie die Nachricht fand, die ich ihr hinterlassen hatte. Vielleicht würde ihr ein Licht aufgehen, wenn sie merkte, dass sie mich verloren hatte, und sie würde endlich aufhören zu trinken. Aber ich würde nicht darauf warten.
    Es war kein Problem gewesen, meinen Vater zu finden und Kontakt zu ihm aufzunehmen. In nüchternem Zustand hätte Mom nicht im Traum daran gedacht, mir seinen Namen zu verraten, und er tauchte auch nicht in meiner Geburtsurkunde auf. Doch als sie wieder einmal in angeheiterter, gesprächiger Stimmung gewesen war, hatten ein paar bohrende Fragen ausgereicht, um zu erfahren, dass er Seamus Stuart hieß. Die Feen benutzten in Faerie keine Nachnamen, hatte sie mir anvertraut, aber diejenigen, die in Avalon lebten, hatten diese Gepflogenheit übernommen, um es dem menschlichen Teil der Bevölkerung leichter zu machen.
    Avalon ist mit seinen weniger als zehntausend Einwohnern winzig.
    Es war also kein Problem gewesen, meinen Vater im Online-Telefonbuch von Avalon
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