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Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Titel: Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
Autoren: Rüdiger Bertram
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Moritz, weil gerade jetzt der Brillenmützenmann zurück auf die Bühne klettert.
    »Das waren die Dichter, jetzt kommen die Richter. Gebt unserer Jury noch ein paar Minuten, dann steht der Sieger unseres kleinen unterhaltsamen Abends fest. Bis dahin: Viel Spaß an der Bar!«, verkündet er und legt dem Slammer kumpelhaft den Arm um die Schulter. Das hat er bei Moritz nicht getan, und man muss kein Psychologe sein, um zu wissen, dass das kein gutes Zeichen ist. Jedenfalls nicht für Moritz.
    »Bitte lass uns gehen, gegen den da oben hast du mit deinen Geschichten hier doch sowieso keine Chance«, sagt Anne, und da ist gar kein Vorwurf in ihrer Stimme, sondern sie klingt eher so, als wolle sie ihn vor einer weiteren Enttäuschung beschützen. Liebevoll streichelt sie über seine Wange und lächelt ihn aufmunternd an.
    »Aber vielleicht heute. Heute war ich richtig gut! Hast du selbst gesagt.«
    »Warst du ja auch, aber die Leute wollen lieber lachen. Das hat gar nichts mit dir zu tun«, antwortet Anne. Erneut reibt sie sich müde die Nasenflügel, dann dreht sie sich um.
    Ehe sie verschwinden kann, greift Moritz nach ihrem Arm, um sie zurückzuhalten.
    »Ist doch gleich vorbei. Dann komm ich auch mit. Nur noch die paar Minuten.«
    Anne wendet sich ihm zu und lächelt wieder. »Ich gehe doch nicht ohne dich. Ich muss nur aufs Klo. Darf ich? Da hat sich auch bestimmt kein wahnsinniger Serienmörder versteckt.« Sie grinst. Moritz lässt ihren Arm los, und Anne verschwindet Richtung Toiletten.
    Die Jury braucht noch einen Augenblick, und ein Autogramm will in der Zeit von Moritz auch niemand haben. Gelangweilt schaue ich mich in der Bar um. Die Wände sind nikotingelb, obwohl man hier schon seit zwei Jahren nicht mehr rauchen darf. Auch das Mobiliar hat seine besten Tage längst hinter sich. Der Brillenmützenmann hat die Stühle, Tische und Lampen für ein paar Euro aus dem Nachlass einer stillgelegten Dorfkneipe aufgekauft. Seit ein paar Monaten gibt es hier diese kleinen Bühnenshows. Entweder mit Sängern oder – wie heute – mit Stand-up-Comedians, Poetry-Slammern und Geschichtenerzählern wie Moritz. Die Auftritte dürfen nichts kosten, deswegen arbeitet der Brillenmützenmann nur mit Amateuren, denen er den Start einer großen Karriere verspricht. Angeblich sind regelmäßig Talentscouts von TV -Sendern im Publikum. Ich habe noch nie welche gesehen, dabei bin ich schon das dritte Mal hier. Genauso oft wie Moritz.
    Bei jeder Veranstaltung sind mehr Zuschauer gekommen. Nicht wegen Moritz, sondern weil die Leute die Abende mit den Kamikazekandidaten auf der Bühne mögen. Für die Besucher ist das eine sichere Sache: Entweder die Jungs und Mädels sind gut, dann hat man als Zuschauer sein Vergnügen und geht zufrieden nach Hause. Und wenn nicht, macht das Erdnüssewerfen mindestens genauso viel Spaß. Vielleicht sogar mehr. Kein Wunder, dass die Bar an diesen Abenden immer rappelvoll ist.
    »Darf ich Sie kurz stören?«
    Moritz sieht überrascht zur Seite. Der Typ, der ihn angesprochen hat, ist um die fünfzig und trägt einen gestreiften Anzug mit Krawatte. Beides ist hier in dem Laden extrem selten, und ich frage mich, warum mir der Fremde im Publikum nicht schon vorher aufgefallen ist.
    »Beeindruckend, Ihre Geschichte«, schleimt der Schlipsträger. »Habe immer noch eine Gänsehaut.«
    »Oh, danke!« Moritz strahlt.
    »Ist doch bestimmt nicht die einzige Story, die Sie auf Lager haben, oder?«
    »Nein, da gibt es noch eine ganze Menge von der Sorte. Das ist so eine Art Hobby von mir«, erklärt Moritz geschmeichelt. »Andere spielen Fußball, ich erzähle gern Geschichten. Obwohl, eigentlich ist es sogar mehr als ein Hobby.«
    »Kann man Ihre Geschichten auch irgendwo lesen? Haben Sie schon Bücher veröffentlicht?«, hakt der Schlipsträger nach.
    Moritz winkt ab und lacht verlegen. »Nein, nein, so weit bin ich noch nicht. Wäre aber toll, wenn’s so wäre.«
    »Schade. Hat mir jedenfalls sehr gefallen, Ihre Story.«
    »Ich hoffe, der Jury gefällt sie auch.«
    Der Fremde macht eine wegwerfende Handbewegung.
    »Was können Sie hier schon verdienen? Einen Kasten Bier?«
    »Zwei. Der Sieger bekommt zwei Kästen«, erwidert Moritz, obwohl das gelogen ist. Der Sieger erhält einen kleinen Pokal, den er nach der Show zurückgeben muss, weil er beim nächsten Mal wieder gebraucht wird.
    »Wenn Sie mit Ihren Geschichten wirklich was verdienen wollen, melden Sie sich doch mal bei mir. Würde mich sehr freuen«,
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