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Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Titel: Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
Autoren: Rüdiger Bertram
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Wagen habe ich heute Nachmittag schon angefordert. Er wird die zwei zum Helikopter bringen.
    Was sollen sie auch noch hier?
    Der Polizei die Wahrheit erzählen?
    Keine gute Idee, wenn man allein mit einem abgetrennten Kopf in einer Höhle angetroffen wird.
    »Wer sind Sie?«, wiederholt Moritz, als wir schon fast den Ausgang erreicht haben. Er hat den Arm um Anne gelegt, die am ganzen Körper zittert.
    »Ein Freund«, antworte ich knapp, weil die Typen, die mich engagiert haben, nicht gern warten.
    Ich habe sie nicht gefragt, wer sie sind oder woher sie kommen. Ich habe sie ja auch nur einmal gesehen, vor ein paar Wochen, als sie mich beauftragt haben, ein bisschen auf Moritz aufzupassen. Sie haben mit Dollars bezahlt, vielen Dollars, sprachen mit amerikanischem Akzent und fuhren einen großen Ami-Schlitten. Das ist alles, was ich weiß.
    Hobbe und seine Auftraggeber sind anscheinend nicht die Einzigen, die gute Geschichtenerzähler zu schätzen und zu nutzen wissen. Solche Talente werden international gesucht, und ich nehme mal stark an, Hobbes kleine Unterabteilung ist auch nicht so einzigartig, wie er vielleicht selbst geglaubt hat. Irgendwo müssen die Geschichten ja alle herkommen. Solche Storylabore gibt es bestimmt eine Menge, in allen Ländern und auf allen Kontinenten. Weiß halt nur keiner, und von mir erfährt es auch keiner. Ich kann schweigen.
    Mein Job ist hier beendet, und mir bleibt nur noch, Moritz und Anne viel Glück zu wünschen, als sie immer noch völlig verstört auf den Rücksitz klettern. Der Wagen parkt an der Schranke, direkt neben denen von Anne und ihrer Kollegin. Ich darf nicht vergessen, die zwei Autos nachher noch verschwinden zu lassen. Dann fährt die Limousine auch schon los, und ich schaue den beiden hinterher, bis sie nicht mehr zu sehen sind.
    Lebt wohl und alles Gute!

24 / 12 / 2015  – 20 : 00  Uhr
    Ich sitze in einer Bar. Es ist die einzige, in der kein Weihnachtsbaum steht und aus deren Anlage nicht Wham!s »Last Christmas« plärrt. Deswegen habe ich sie mir schließlich auch ausgesucht. Wenn man zu Weihnachten schon allein ist, muss man sich nicht noch mit der Nase darauf stoßen lassen, dass das heute ein besonderer Tag sein soll. Neben mir sitzt ein genauso armes und einsames Schwein wie ich. Der hat mir gerade eine ganz unglaubliche Geschichte erzählt: Moritz’ Geschichte. Vom Anfang auf der Bühne in der SonderBar bis zum Ende auf dem Rücksitz des Ami-Schlittens.
    »Und das soll alles wahr sein?«, frage ich scheinheilig, weil ich ja weiß, dass es wahr ist.
    »Klar ist das wahr! Der Junge lebt mit seiner Frau in den USA , abgeschirmt von der CIA , und erfindet für die Regierung beängstigende Geschichten über Nordkorea oder den Iran. Genau so hat mir das Carlas Cousin erzählt. Bei der Hochzeit von der Angelika. Und dieser Moritz, das war ein guter Bekannter seines Schwagers«, antwortet der Mann neben mir.
    »Was es nicht alles gibt!«, erwidere ich tief beeindruckt und winke dem Wirt, damit er uns noch zwei Glas Bier bringt.
    Ich spüre, wie ich langsam sentimental werde. Das muss an Weihnachten liegen oder am Alkohol oder an der Geschichte, die mir der Typ neben mir gerade erzählt hat.
    Ich habe neulich erst an Moritz gedacht, weil ich in einer Zeitung eine seltsame Meldung gelesen habe: Trotz strengster Geheimhaltung sei durchgesickert, dass die Amis unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen den rechten großen Zeh ihrer Freiheitsstatue anbohren. Die Franzosen, die den Amerikanern das Ding 1885 geschenkt haben, sollen dort eine kleine Kammer eingebaut haben. Randvoll mit den heimtückischsten Erregern, die sie damals auf ihren alten Pestfriedhöfen finden konnten. Ein Knopfdruck in Paris, und das Ding geht hoch, so stand es in dem Artikel. Der Mechanismus soll nämlich heute noch so zuverlässig funktionieren wie ein Citroën.
    Das Problem ist nur, die alte Dame im Hafen von New York hat gar keine Zehen. Ich habe das überprüft.
    Die Geschichte ist von Moritz, da bin ich mir zu neunundneunzig Prozent sicher. Vielleicht hat sich die amerikanische Regierung über die Franzosen geärgert und die Story bei ihm bestellt, um ein bisschen Stimmung gegen die Franzmänner zu machen.
    Könnte doch sein, oder?
    Ich sollte Moritz und Anne mal anrufen, um zu hören, ob es ihnen gut geht. Die stehen zwar bestimmt nicht im Telefonbuch, aber es dürfte kein Problem sein, die Nummer rauszukriegen.
    Nicht für einen wie mich.

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    © Verlag Friedrich Oetinger GmbH,
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