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Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Titel: Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
Autoren: Rüdiger Bertram
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sträubt sich, aber dann überredet er sie doch. Nur ein bisschen Thrill, ein bisschen Grusel, verspricht er ihr, als sie am Eingang der Höhle ankommen. Das Schloss zu knacken, ist ein Kinderspiel. Kurz darauf stehen sie auch schon im Dunkeln. Es ist die Nacht zu Halloween, und es ist wirklich dunkel, weil der Mond hinter den Wolken verborgen ist. Los, schließt die Augen, damit ihr euch vorstellen könnt, wie dunkel es ist.«
    Einige der Zuschauer lachen amüsiert, andere machen tatsächlich die Augen zu. Ich nicht. Zu unprofessionell.
    »Er hat eine Taschenlampe dabei. Schritt für Schritt tasten sich die beiden im Schein der Lampe voran. Sie will zurück, aber er sagt nur: ›Hab keine Angst, bloß noch ein kleines Stück.‹ Also gehen sie weiter, tiefer in die Höhle, deren Gänge sich immer mehr verzweigen, je weiter sie kommen. Bis sie eine unterirdische Halle erreichen und …«
    KNAAAAAAAAAACKS !
    In der Bar zucken alle zusammen. Ich auch. Moritz hat einen Hühnerknochen aus der Tasche geholt und in der Mitte durchgebrochen. Ein scheußliches Geräusch, das einen unwillkürlich die Luft anhalten lässt. Moritz genießt die Wirkung seiner kleinen Einlage und grinst. Dann fährt er fort.
    »Sie ist umgeknickt, hat sich den Knöchel verstaucht, vielleicht auch gebrochen. Woher soll er das wissen? Er ist kein Arzt. Er hockt sich neben sie, untersucht ihren Fuß, was zwecklos ist. Klar ist nur: Damit wird sie keinen Schritt mehr laufen können. Natürlich haben sie hier drinnen keinen Handy-Empfang, also muss er Hilfe holen, solange die Taschenlampe noch brennt, denn die wird immer schwächer. Sie will nicht, dass er geht. Sie hört Geräusche. Ein Rascheln, mal rechts, mal links von ihnen. Mal ist es lauter, mal etwas leiser, aber es ist da, kein Zweifel. Und dann, dann ist mit einem Mal …«
    Moritz gibt ein Zeichen Richtung Theke, und die Bedienung knipst die Lampen aus.
    »… das Licht weg.«
    Für einen Moment ist es in der SonderBar stockduster. An einigen Tischen gibt es spitze Schreie, an anderen gehen Feuerzeuge an. Dann ist die Beleuchtung auch schon wieder da, weil der Chef Angst hat, dass ein paar seiner Gäste die Dunkelheit ausnutzen könnten, um sich zu verabschieden, ohne zu bezahlen.
    Während das Licht aus war, hat Moritz seinen Platz auf dem Barhocker verlassen. Er steht jetzt ganz vorn am Rand der Bühne. Ein winziger Schritt weiter, und er fällt von der Rampe, seinen Zuhörern direkt in den Schoß.
    »In der Höhle geht das Licht nicht wieder an. Die Batterien haben schlappgemacht. Dafür werden die Geräusche lauter. Mal sehr nah, dann wieder entfernter. Manchmal sind sie ganz weg. Aber nie lange. Er beruhigt sie: ›Das sind nur Fledermäuse, vielleicht Ratten, aber die sind zu feige, die bleiben, wo sie sind, keine Sorge. Ich hole Hilfe, bin gleich wieder da, rühr dich nicht vom Fleck. Ich liebe dich.‹ Dann gibt er ihr einen Kuss und lässt sie zurück, um die Ambulanz zu holen, die sie hier rausbringen wird. So schnell wie möglich. Und dann? Dann ist sie allein.«
    Moritz macht eine Pause. Es ist ganz still, niemand sagt ein Wort. Jetzt hat er sie. Jetzt hat er sie alle. Er wartet noch einen Moment, schließlich klopft er mit den Fingerknöcheln auf die Sitzfläche des Barhockers hinter ihm. TOK , TOK , TOK . Immer wieder. TOK , TOK , TOK .
    »Das Klopfen beginnt, als er etwa eine halbe Stunde weg ist. Mal lauter, mal leiser. So geht es die ganze Nacht. TOK , TOK , TOK . Sie hasst und verflucht ihn, weil er nicht wiederkommt und sie einfach im Stich lässt. Wo es doch seine Idee war mit der Höhle, in der sie jetzt hockt, im Dunkeln, unheimlich beleuchtet nur von ihrem Handydisplay, verängstigt und allein, kurz davor, durchzudrehen. Und immer wieder dieses TOK , TOK , TOK . Immer wieder dreimal schnell hintereinander, dann Ruhe, um kurz darauf wieder von vorn anzufangen. Irgendwann wird es Morgen, aber das merkt sie nicht. Wie auch? In der Höhle sind Tag und Nacht nicht zu unterscheiden.
    Plötzlich kommen Leute, viele Leute. Endlich. Geschrei, Tumult, sie weiß nicht, was los ist. Menschen sind bei ihr, legen ihr eine Decke um die Schulter, betten sie auf eine Trage und warnen sie, warnen sie eindringlich: ›Schauen Sie nicht hin!‹ Aber niemand sagt ihr genau, wohin sie nicht schauen soll. Also sieht sie es doch: Da liegt er, im Schein der Taschenlampe eines Polizisten: der abgetrennte Kopf ihres Freundes. Seine Stirn ist aufgeplatzt, und sie erkennt auch gleich, warum.
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