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Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort

Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort

Titel: Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
Autoren: Mirjam Mous
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geschickt wäre, einen Krankenwagen zu rufen, aber ich tat es nicht. Ich stand wie eine Salzsäule im Zimmer und starrte auf die Szene, während allerlei Gedanken durch mein Hirn flitzten. Zum Beispiel, dass die Frau ihren Geldbeutel wahrscheinlich schon vermisst hatte, da die Handtasche auf dem Bett ausgeschüttet worden war. Dass sie sich dann vielleicht zu Tode erschreckt hatte, wodurch sie einen Herzinfarkt bekam. Dass sie an der Stehlampe Halt gesucht hatte und diese dann im Sturz mit zu Boden gezogen hatte. Dass sie bestimmt gegen den Tisch gefallen war, denn aus ihrem Ohr tröpfelte ein dünnes Rinnsal Blut. Und dass sie für jemanden, der noch am Leben war, wirklich sehr lange die Augen offen halten konnte, ohne zu zwinkern.
    Mein Magen konnte plötzlich nicht mehr an sich halten und kehrte sein Innerstes nach außen.
    Sich übergeben zu müssen, ist ziemlich unappetitlich, aber ich war trotzdem erleichtert, als mein Körper wieder reagierte. Jetzt konnte ich einen Krankenwagen rufen. Zumindest, wenn ich ein Telefon zur Hand gehabt hätte. Mein Handy! Mein Zimmer war ganz in der Nähe. In meiner Verwirrung dachte ich nicht an das Zimmertelefon.
    Sobald ich auf dem Flur stand, sah ich zwei Männer in Uniform, die gegen Türen drückten, und wenn sie zublieben, eilig weitergingen.
    Sie sahen mich auch.
    »Fin?«, fragte einer und sah auf meine Hand.
    Der Geldbeutel. Warum hielt ich das Ding noch immer fest?
    Der andere knurrte etwas auf Spanisch, packte meine Handgelenke und drehte sie mir auf den Rücken.

37
    Zeit: heute
Ort: Polizeiwache Francaz – Spanien
    Es ist Morgen. Ich habe meine zweite Nacht in der Zelle überlebt. Perez und ich sitzen gemeinsam mit Tee, Kaffee und Marmeladenbrot hinter dem Laptop. Es hat fast was von gemeinsamem Fußballgucken, nur dass auf dem Bildschirm keine Spieler, sondern Bilder von Überwachungskameras zu sehen sind. Menschen, die über einen Platz in ein Einkaufszentrum gehen, vor Schaufenstern stehen bleiben oder auf einem Mäuerchen sitzen. Manchmal sehe ich jemanden mit einer Baseballkappe und dann muss Perez drei Mal zurückspulen, weil ich sichergehen will, dass es nicht Stefano ist.
    Eine Stunde und eine Million Filme weiter habe ich endlich Glück.
    »Können Sie das Bild anhalten?«, frage ich aufgeregt.
    Ich krieche fast in den Computer. Ganz am Rand, kurz bevor er aus dem Bild läuft, setzt ein Junge ein Basecape auf. Und ich halte die ganze Zeit nach Baseballkappen Ausschau! Stefano hat sie erst kurz vor dem Geldautomaten aufgesetzt!
    Ich zeige auf den Bildschirm. »Das ist er.«
    Perez ist schon über eine Stunde weg. Ich warte. Meine Hände sind klamm und mein Magen scheint irgendwo in meiner Kehle zu hängen. In einem Moment bin ich voller Selbstvertrauen, im nächsten bin ich ganz sicher, dass sie mir doch wieder nicht glauben werden. Wäre meine Mutter bloß hier! Noch zwei Tage. Wenn ich daran denke, dass ich heute Nacht wieder in dieser Zelle…
    Die Tür geht auf.
    Perez.
    Er legt das ausgedruckte Foto von Stefano auf den Schreibtisch.
    »Sein richtiger Name ist Felipe Garcia und er ist wirklich Valeries Freund.«
    Es ist vorbei. Ich hatte gedacht, ich würde erleichtert sein, aber ich fühle mich leer und müde.
    »Valeries Mutter hat ihn identifiziert«, sagt Perez. »Laut ihrer Aussage taugt der Junge tatsächlich nichts. Kurz vor den Sommerferien wurde er beim Diebstahl erwischt und der Schule verwiesen. Als Señora Reina das hörte, hat sie ihrer Tochter unter Androhung unendlichen Hausarrests den Umgang mit Felipe verboten. Sie glaubt, dass Valerie und eine Freundin mit Rucksäcken unterwegs sind.«
    »Und jetzt?«, frage ich.
    »Ich habe schon eine Fahndungsmeldung nach Felipe rausgegeben«, antwortet Perez. »Und ich schicke jemanden ins Hotel Marvi, um Valerie dort abzuholen.«
    »Ist sie denn immer noch dort?«
    »Sollte sie jedenfalls. Sie weiß, dass sie ohne unsere Zustimmung nicht weiterreisen darf. Nicht, bevor der Fall geklärt ist.« Er legt seine Hand auf meine Schulter. »Wir werden sie mit Felipe Garcia konfrontieren. Zumindest mit der Tatsache, dass sie ihn uns gegenüber verschwiegen hat. Ob wir Felipe selbst auch schnell finden werden, ist fraglich. Wenn er wirklich den Tod von Señora Somez auf dem Gewissen hat, ist er höchstwahrscheinlich längst ausgeflogen.«
    Oder eben gerade nicht. Ich denke daran, was ich von Val gelernt habe. Dass Menschen häufig viel zu schnell Schlussfolgerungen ziehen: Wenn man einen Anzug trägt, hat
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