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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant
Autoren: Andreas Brandhorst
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Prolog
Sol-System
17. September 2075
     
    Mutter Rrirk stakte in den Pilotendom, den Raum, der das Zentrum der hyperdimensionalen Struktur ihres Schiffes bildete. Flüsternde und raunende Stimmen begleiteten sie, kamen sowohl von den vielen Segmenten des Schiffes, durch die Bindungskräfte existenzieller Harmonie zusammengehalten, als auch aus dem Transraum und seinen zahllosen Fäden, die sich zwischen allem Existierendem spannten. Die beiden multiplen Augen der Kantaki, bestehend aus jeweils tausenden von kleinen Sehorganen, fügten dem ständigen Wispern der Datenstimmen visuelle Eindrücke hinzu. Mutter Rrirk sah ihren Piloten im Sessel auf dem Podium, in der Mitte des Raums: ein Taruf, der dürre Körper wie gläsern, das Gesicht ohne Augen; pustelartige Rezeptoren bildeten einen Wulstbogen, der von der einen Seite des Kopfes zur anderen reichte und akustische sowie elektromagnetische Signale empfing. Seit fast vierzehn Großzyklen stand Chsantahi in ihren Diensten und lenkte das Schiff mit seiner Gabe durch den Transraum, verband es immer mit den richtigen Fäden. Bei einem so guten Piloten stellte die nichtlineare Zeit keine Gefahr dar.
    »Wir haben volles Funktionspotenzial«, meldete einer der beiden Akuhaschi an den Konsolen, die vor den gewölbten Wänden aus dem Boden ragten. Über ihnen gewährten Projektionslinsen Ausblick in den Transraum.
    »Ich weiß«, klickte Mutter Rrirk. Sie spürte es ganz deutlich: Ihr Schiff fühlte sich wohl. Mit langen, mehrgelenkigen Beinen ging die alte Kantaki durch den Pilotendom und nahm dabei wesentlich mehr wahr als die beiden Akuhaschi. Sie sah Chsantahis mentale Welt, Traumbilder und Visionen von der Heimatwelt des Taruf, von Wünschen, die ein feines Gespinst im Unterbewusstsein bildeten. Sie sah auch die Verbindung zwischen seinem Selbst und dem Transraum, den Kontakt mit dem Faden, der ihr Schiff zu einem ganz bestimmten Sonnensystem führte, das sie schon einmal besucht hatte, vor etwa zwanzig Großzyklen. Wenn Mutter Rrirk ihr eigenes Ich auch nur ein wenig erweiterte, spürte sie die beruhigende, erhabene Präsenz des Geistes, der Materie geworden war und die Großen Kosmischen Zeitalter durchlebte, um zu lernen und zu erfahren. Ihren Sinnen boten sich noch viele andere Dinge dar, von deren Existenz normaldimensionale Geschöpfe wie die Akuhaschi oder auch Chsantahi nichts ahnten, die aber integrale Bestandteile des sehr komplexen Kantaki-Universums waren: die in der nichtlinearen Zeit pulsierende Energie; die feinen Trennlinien zwischen dem Tatsächlichen und dem Möglichen; die quantengeometrischen Strukturen der Hyperzeit jenseits des gewöhnlichen Zeitstroms; das subtile, fragile Netz der Kausalität, das die Basisstrukturen der Zeit durchzog und um der Kontinuität willen nicht verändert werden durfte – der Sakrale Kodex enthielt ein entsprechendes Verbot.
    Noch bevor Mutter Rrirk die Mitte des Pilotendoms erreichte, fand der Übergang statt. Ihr Schiff verließ den Transraum, glitt zurück in das von gewöhnlicher Raum-Zeit dominierte Kontinuum, und seine Stimmen veränderten sich, sangen ein anderes Lied. Die vielen Projektionslinsen an den hohen Wänden zeigten das Zielsystem, eine ferne Sonne mit neun Planeten, vier von ihnen mit Ringen, einer mit besonders auffälligen. Eine Detritusschale umgab das Sonnensystem, und das Kantaki-Schiff, ebenso schwarz wie das All, glitt hindurch und näherte sich dem äußersten Planeten, einem eingefangenen Irrläufer.
    Bisher hatte sich Chsantahi im Pilotensitz kaum bewegt, aber jetzt setzte er sich auf. »Wir sind da«, sagte er schlicht.
    »Du hast wieder einmal gute Dienste geleistet«, klickte die Kantaki.
    »Ich danke Ihnen, Mutter Rrirk«, erwiderte der Taruf. Ein Schatten schien durch seinen Leib zu kriechen und trübte die Transparenz, Hinweis darauf, wie sehr er das Lob der Kantaki zu schätzen wusste.
    »Ich glaube, diesmal sind wir zum richtigen Zeitpunkt gekommen«, sagte einer der beiden Akuhaschi. »Die bei unserem letzten Besuch beobachtete Spezies hat sich weiterentwickelt und das Kontaktniveau erreicht. Wir empfangen die Daten der zurückgelassenen Sonden und werten sie aus.«
    Zwanzig Großzyklen – für die Bewohner des dritten Planeten entsprach diese Zeit etwa zweitausend Orbitalperioden. Aber nicht nur auf dem dritten Satelliten dieser Sonne gab es Leben, sondern auch auf – beziehungsweise in – einigen Monden der Gasriesen. Leben, so wusste Mutter Rrirk, existierte überall dort, wo es
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