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Romeo und Jabulile

Romeo und Jabulile

Titel: Romeo und Jabulile
Autoren: Lutz van Dijk
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bin erleichtert.
    »Ja«, nickt er. »Ich bin heute eigentlich nur wegen deines verletzten Auges auf den Platz gekommen. Ich habe mir Sorgen gemacht. Und dann wollte ich dir sagen, wie glücklich ich mit dir bin wegen des Supertors, das du geschossen hast!«
    »Man n … und ich habe dich nie vorher gesehe n …«
    »Konntest du auch nicht. Ich habe aufgepasst, dass ihr mich nicht bemerkt. Habe immer hinter dem großen Baum gestanden. Manchmal auch auf einem hohen, starken Ast gesessen, wenn andere in der Nähe waren, weil ich wusste, dass viele von euch uns nicht leiden können.«
    »Woher kommst du denn?«, unterbreche ich ihn zum ersten Mal.
    »Aus SIM«, antwortet er, »aus einem kleinen Dorf nördlich von Harare.«
    SIM steht für Simbabwe , und Harare ist dort die Hauptstadt. Ich weiß nur, dass seit drei, vier Jahren immer mehr Leute von dort bei uns auftauchen, weil es in SIM nicht genug zu essen gibt und viele Menschen hungern. Von Arbeit und Medikamenten ganz zu schweigen. Auch der Junge sieht ziemlich verhungert aus, muss ich zugeben.
    »Wir haben nichts gegen euch«, sage ich und schäme mich gleichzeitig dafür, weil ich weiß, dass es nicht die ganze Wahrheit ist. Vor allem, als er nicht darauf antwortet. Mein Bruder hat schließlich mit seiner großen Klappe genau bestätigt, was er gerade gesagt hat.
    Noch immer schweigt er. »Hast du auch gehungert?«, frage ich leise nach.
    »Ja«, antwortet er.
    »Bist du allein gekommen?«
    »Nein, meine Mutter und meine Tante sind mitgekommen. Mein Vater ist mit zwei kleineren Geschwistern zurückgeblieben. Er hat sich durch verseuchtes Trinkwasser mit Cholera angesteck t … und gute Medikamente sind schon vor Monaten ausgegangen in unserem Krankenhaus. Meine Tante ist seine Schwester. Sie will zurück, sobald sie genug Geld und vor allem die richtigen Medikamente aufgetrieben hat. Sie hat selbst keine Familie. Ihr Bruder ist alles für sie.«
    »Aber wo wohnen denn deine Mutter und deine Tante?«
    »Auch hier bei euch in Mas i – sie teilen ein Shack mit einer dritten Frau aus SIM, die wir bei der Flucht kennengelernt haben und die schon früher mal hier war. Es ist jedoch so eng dort, dass Mutter froh war, als ich den Job bei der Baufirma gefunden habe und seitdem auch hier wohnen darf. Sie zahlen zwar kaum was, aber die Bude hier ist einfach klasse, und ich kann mit den anderen Arbeitern in der Kantine umsonst essen.«
    Ich nicke, obwohl ich mir gut vorstellen kann, wie heiß es hier tagsüber sein muss, wenn die Sonne draufknallt. Sein Shack hat nicht mal ein Fenster, nur die Tür.
    »Und wie bist du geflüchtet?«, frage ich nach.
    »Nachts«, sagt er, als wenn es das Normalste von der Welt wäre. »Immer nur nachts. In einer Gruppe mit anderen Flüchtlingen. Jemand hatte uns von einer Stelle im Grenzzaun erzählt, die schon von anderen mit Drahtzangen aufgeschnitten worden war. Und er hat viel Geld dafür genommen.
    Aber als wir endlich nach drei Nächten marschieren dort ankamen, war der Zaun schon wieder repariert und sogar mit Stacheldraht oben und unten verstärkt. Die Anführer gerieten selbst in Panik und entschieden schließlich, dass wir doch rübermüssten, so oder so. Zwei Männer, die es mit der Angst bekamen und abhauen wollten, wurden von ihnen dermaßen verprügelt, dass wir anderen es gar nicht erst versuchten. Die beiden mussten, obwohl sie schon von den Schlägen bluteten, den Draht für uns hochzerren, und dann zwängten wir uns, einer nach dem anderen, drunter durch. So gut es eben ging.
    Nur eine Frau, die hochschwanger war, musste zurückbleiben, weil sie mit ihrem dicken Bauch einfach nicht durchpasste. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt so lange durchgehalten hatte. Beinah alle zerrissen wir uns die Kleidung. Aber am schlimmsten ging es am Ende den beiden Männern: Ihre Hände waren völlig aufgerissen, alles blutig. Das wenige Gepäck, das einige noch hatten, mussten wir zurücklassen. Alles.
    Wieder sind wir zwei Nächte gelaufen, bis wir an einer Straßenkreuzung in Südafrika von Kleinbussen abgeholt wurden. Das heißt, nur die, die noch Geld oder andere Wertsachen hatten. Meine Tante hatte noch eine Armbanduhr versteckt, die sie jetzt eintauschte für die Fahrt nach Kapstadt. Und auch die Frau, die uns mitnahm, hier nach Masi, hatte noch was zum Tauschen.
    Die anderen mussten an der Kreuzung sitzen bleiben, ohne was zu essen, ohne Geld, nur mit den zerrissenen Kleidern am Leib. Dabei waren auch mehrere kleine Kinder und ein
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