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Romeo und Jabulile

Romeo und Jabulile

Titel: Romeo und Jabulile
Autoren: Lutz van Dijk
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Versteck. Ich war im ersten Mädchen-Fußballteam vom ganzen Township. Und ich war nicht schlecht, seit ein paar Wochen sogar im Mittelfeld.
    Seit jenem Abend bin ich bei keinem Fußballspiel gewesen, auch nicht beim Training. Ich esse nichts und trinke nur ab und zu Wasser. Ich mache niemanden mehr froh.
    Ich weiß gar nicht, wie ich weiterleben soll. Ohne ihn.
    Alles ist erst ein paar Tage her. Ich kann noch hören, wie er meinen Namen rief. Ich kann noch den Schweiß auf seiner Haut riechen nach einem langen Tag bei der Baufirma. Ich sehe seinen hinkenden Gang vor mir, der von einer Kinderlähmung stammt, als er noch ein Kleinkind war. Ich weiß noch genau, wie es sich anfühlte, wenn er mich im Arm hielt. Ganz nah, fest, warm.
    Ich bin selbst ziemlich stark mit dreizehn, aber bei ihm fühlte ich mich beschützt wie bei keinem anderen Menschen. Es erinnerte mich ein wenig an Oma, wenn sie mich zu Bett brachte, als ich noch klein war. Da dachte ich auch: Mir kann nichts passieren. Ich kann ruhig schlafen. Ich bin nicht allein.
    So sicher bis zu jener Nacht.
    Im Township ist es ruhig seitdem. Das meiste aufgeräumt. Kaum noch Journalisten. Nur die Polizei patrouilliert weiter regelmäßig, besonders abends. Die verkohlten Reste der abgebrannten Hütten sind in der Nähe der Einfahrt aufgestapelt, gleich neben den Haltestellen der Kleinbusse. Wenn sie nicht wären, diese noch immer nach Rauch stinkenden Müllhaufen, könnte man denken, es sei alles nur ein böser Traum gewesen.
    Die Menschen selbst sind verschwunden. Alle. Bis jetzt jedenfalls. Sie sollen in einem Flüchtlingslager an der Küste in Zelten untergebracht sein. Dort, wo im Sommer ein armseliger Campingplatz mit ein paar Klohäuschen ist. Ein paar Tausend Kinder, Frauen, Männer. In Bussen dorthin gekarrt und ausgekippt. Aus unserem und anderen Townships.
    Das Flüchtlingslager hat den schönen Afrikaans- Namen Soetwater . Süßwasser. Außer dem Namen ist dort nichts Süßes. Es ist ein allen Naturgewalten ausgesetzter Ort, an den sich jetzt im Winter normalerweise kein Hund hinverirrt. Der Sturm ist zeitweise so stark, dass er das schäumende Meerwasser bis weit ins Land trägt und alles mit salziger Nässe und Kälte überzieht. Ich würde alles dafür geben, wenn er wenigstens dort wäre. Dann würde ich ihm Essen bringen, egal was Vater sagt. Und warme Decken. Und seine Befreiung mit ihm planen. Seine Rückkehr zu uns. Oder mit ihm nach Simbabwe gehen, dahin, wo er herkommt. Wenn du verliebt bist, kannst du alles. Dann ist alles andere egal. Wenn du nur nicht allein bist.
    So sitze ich vor Vaters Spazashop , der den Namen Supa-Cash auf einem wackeligen, ziemlich großen weiß-roten Coca-Cola-Schild trägt, welches über dem Eingang angebracht ist. Mein Kopfverband ist ab, und die Stelle, wo mich der Stein traf, bedeckt nur noch ein kleines Pflaster.
    Vaters Stimme brummt aus dem dunklen Laden: » Yiz a – komm, du musst noch fegen! Ich kann nicht alles allein machen.«
    Aber ich antworte nicht. Früher hätte er mich jetzt angebrüllt oder auch an den Haaren gezogen. Seit jener Nacht lässt er mich machen, was ich will. Wir reden nur das Nötigste.
    Mit meinem älteren Bruder Lonwabo spreche ich kein Wort mehr. Ich habe solche Wut auf ihn. Er war dabei in jener Nacht. Auch wenn er am Ende Schiss bekam, hat er doch seine Freunde mit aufgehetzt. Wenn ich ihn nur sehe, wird mir übel.
    Nur auf Makhulu kann ich mich weiter verlassen. Obwohl sie Romeo nie getroffen hat, ist sie doch auf unserer Seite.
    Heute Abend setzt sie sich still neben mich auf die kleine wackelige Holzbank vor Vaters Laden. Die goldene Abendsonne lässt ihr weißes Haar wie pures Silber glänzen.
    » Jong a – schau mal«, sagt sie, als die Sonne bereits hinter dem gegenüberliegenden Haus verschwunden ist und ein kühler Abendwind aufkommt. »Ich möchte dir dieses Heft schenken.«
    Das Heft hat einen schwarzen, stabilen Einband, ansonsten sind alle Seiten leer. Es sieht aus wie ein dickes Schulheft. Ich schaue sie fragend an, als sie es in meine Hand legt.
    »Du kannst das Schokoladenpapier darin aufbewahren«, erklärt sie mit ihrer tiefen Stimme, während sie sich gleichzeitig eine lange Pfeife anzündet und mehrfach daran zieht, bis sie sicher ist, dass der Tabak gut brennt. »Es gibt bestimmt noch mehr, woran du dich von ihm erinnern möchtes t …«
    Ich habe das Schokoladenpapier immer bei mir. Auch nachts, dann lege ich es unter mein Kopfkissen. Am Tag falte ich das
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