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Romeo und Jabulile

Romeo und Jabulile

Titel: Romeo und Jabulile
Autoren: Lutz van Dijk
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jetzt kann ich sein Gesicht richtig erkennen.
    »Ich habe hier so was wie einen geheimen Or t – nur für mich«, flüstert er, obwohl weit und breit niemand in der Nähe ist. »Darf ich ihn dir zeigen?«
    Sein Englisch klingt anders, als wir es sprechen. Kein Fluchen. Eine Aussprache, wie ich mir vorstelle, dass man vielleicht in England so spricht. Vornehm irgendwie.
    Ich nicke. Wieder lächelt er und schaut mir dabei direkt in die Augen. Länger als gewöhnlich. Ich halte seinem Blick stand.
    »Komm«, sagt er und nimmt ohne Vorwarnung meine Hand.
    Dann schiebt er unmittelbar vor uns eine dünne Zementplatte zur Seite. Sie lässt sich erstaunlich leicht bewegen und gibt Raum für eine Öffnung, die groß genug ist, dass wir auf unseren Knien hindurch zur anderen Seite krabbeln können.
    Dort richten wir uns wieder auf und lauschen in die Nacht. Am anderen Ende des Geländes bellt ein Hund. Eine Männerstimme ruft ihn zur Ordnung. Der Junge legt einen Finger auf seinen Mund. Kurz darauf verstummt das Gebell. Noch immer hält er mich an der Hand.
    Wir klettern über eine Sandhalde, dann noch eine, bis wir zu einem Lager für Mauersteine kommen. Die Steine sind in Blöcken so hoch aufgeschichtet, dass man sich dazwischen wie in kleinen Straßen bewegt.
    Ein paarmal biegen wir links und rechts ab. Dann erreichen wir das Ende des Baumateriallagers und stehen plötzlich vor einem Holzzaun. Jedenfalls denke ich das. Erst jetzt erkenne ich, wie der Junge einen kleinen hölzernen Riegel zurückschiebt und eine schmale Tür öffnet, die ich zuvor gar nicht gesehen habe.
    »Wir sind da«, sagt er und flüstert nicht mehr. Er stößt die Holztür weit auf und geht voran. Ich warte noch draußen, bis er eine wackelige Paraffin -Lampe entzündet hat. In ihrem schummrigen Licht erkenne ich einen kleinen Raum, der nicht mehr als eine Matratze, einen Koffer und einen Stuhl enthält. Kein Schrank, kein Tisch, nicht mal ein Teppich auf dem platt gestampften Erdboden.
    Ohne ein weiteres Wort folge ich ihm. Es ist stickig in dem kleinen Raum. Ich bin froh, dass er die Tür offen lässt. Er scheint sich hier sicher zu fühlen, denn nun schaut er sich nicht mehr dauernd um oder lauscht abwartend in die Dunkelheit.
    »Hier wohne ich«, sagt er und schiebt mir den einzigen Stuhl zu. »Setz dich doch.«
    Obwohl es komisch wirkt, nehme ich Platz wie jemand, der bei einer entfernten Tante zu Besuch ist.
    »Willst du etwas trinken?«, fragt er, als ob wir gerade ein vornehmes Restaurant betreten hätten. Es gibt hier keinen Kühlschrank. Ich sehe nur in einer Ecke ein paar mit Wasser gefüllte Colaflaschen stehen.
    »Gern«, sage ich trotzdem und bin vorbereitet, einen Schluck warmes Wasser aus einer der Flaschen zu bekommen.
    Zu meiner Überraschung holt er eine Dose Sprite aus seiner Hosentasche. Er zieht die Lasche mit einem Zischen ab und reicht mir das Getränk. Eiskalt!
    Ich muss lachen: »H m … lecker!« Wahrscheinlich hätte er aus der anderen Hosentasche eine Cola gezogen, wenn ich lieber eine Cola gewollt hätte. »Mann, woher wusstest du denn überhaupt, dass ich mitkomme?«
    »Ich wusste es nicht«, antwortet er. »Ich habe es mir gewünscht.« Und nach einer Pause: »Ich habe davon geträumt. Schon seit ein paar Wochen.«
    »Was?« Beinah wäre ich vom Stuhl gefallen. Ich habe den Jungen noch nie gesehe n – und er träumt schon Wochen von mir? »Woher kennst du mich denn?«
    »Vom Fußball«, erklärt er. Ich mag seine tiefe Stimme. »Ich habe euch oft beim Training beobachtet. Von hinter den Bäumen an der Südseite des Spielfelds. Da, wo heute dein Bruder und all deine Freunde standen.«
    Er selbst trinkt nichts. Als ich ihm die Spritedose reichen will, wehrt er bescheiden ab.
    Dann fährt er fort: »Zuerst war ich einfach nur verrückt nach Fußball. Daheim habe ich keinen Auftritt unserer Dorfmannschaft versäumt, obwohl ich selbst nie spielen konnte.« Wir schauen beide auf sein linkes Bein. Ich sehe jetzt, da er mit ausgestreckten Füßen vor mir auf dem Boden sitzt, dass sein linkes Bein kürzer als das rechte ist.
    »Ich bin sowohl zu den Spielen und Trainings der Jungen als auch der Mädchen gegangen. Wann immer ich nicht arbeiten musste. Bis ich dich sah. Ich mein e – richtig sah. Nur dich. Wie du rennen kannst, wie du lachst, wie du schimpfst, wi e …«, er zögert einen Moment, sagt dann aber entschlossen: »Wie schön du aussiehst!«
    »Dann hast du mich also schon ohne mein geschwollenes Auge gesehen?« Ich
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