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Romeo und Jabulile

Romeo und Jabulile

Titel: Romeo und Jabulile
Autoren: Lutz van Dijk
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ich nach oben, als ich unmittelbar unter dem Fenster stehe. Sie ruft etwas, was ich nicht verstehe. Dabei zuckt sie die Achseln. »Und Romeo? Haben Sie Romeo gesehen?« Wieder zuckt sie die Achseln. Weiß sie überhaupt, wer Romeo ist?
    Um mich herum sind plötzlich alle möglichen jungen Leute, die auf teuflische Weise lachen und offensichtlich ihren Spaß an dem Horror haben. Einer trägt einen ziemlich neuen Flachbildfernseher auf der Schulter wie eine Trophäe. Ob Lonwabo einer von ihnen ist? Ich sehe ihn nicht, aber das Chaos ist auch viel zu groß.
    Schon wieder kracht es ganz in meiner Näh e – die Scheibe eines kleinen Haushaltswarenladens zerbirst, in dem eine Familie aus Somalia Plastikkram aus China verkauft. Ein älterer Mann versucht, sich schützend vor zwei verschleierte Frauen zu stellen. Ein Junge von höchstens sechzehn oder siebzehn schlägt ihm von hinten mit einem Stock auf den Kopf. Er bricht blutend zusammen und bleibt bewegungslos liegen. Derselbe junge Kerl zieht einer der Frauen den Schleier vom Kopf, ein zweiter Tsotsi zerreißt ihr Kleid, bis sie ihre bloßen Brüste nur noch mit den Händen zu schützen vermag. Dann wird sie von mehreren Männern zurück in den Laden geschubst, aus dem andere, darunter auch Frauen, mit gestohlener Ware in vollen Körben abziehen.
    Wo ist Romeo? Wo ist Romeo?
    Erst traue ich meinen Augen nicht. Aber dann bin ich mir siche r – nur wenige Meter von mir entfernt steht Lonwabo, bewegungslos. Warum macht er nicht mit bei dem Plündern, Schlagen, Vergewaltigen?
    Ich laufe auf ihn zu und zerre ihn herum, sodass er mir ins Gesicht sehen muss. »Ist es das, was du gewollt hast?«, schreie ich ihn an.
    Ich weiß nicht, ob er mich erkennt. Eine leichte Platzwunde an seiner Stirn lässt Blut in einer dünnen Linie über sein Gesicht laufen. Ein paarmal bewegt er die Lippen, aber ich verstehe ihn nicht. Endlich kann ich ihn hören: » Haa i – nein, Jabu, das ist Wahnsinn. Das wollte ich nich t …«
    Ich kann kein Mitleid für ihn empfinden und lasse ihn einfach stehen. Mit seinen Sprüchen hat er den Schrecken mit vorbereitet, auch wenn ihm das Ausmaß der Gewalt jetzt wohl zu weit geht. Ich wende mich von ihm ab und laufe weiter in Richtung Unathis Haus. Vielleicht weiß sie etwas. Sie war doch noch vorhin mit Romeos Mutter zusammen.
    Ich biege gerade in ihre Straße ein, als von einem brennenden Shack ein Balken direkt vor mir niederkracht. Ein paar Funken verkokeln mein Haar und brennen ein Loch in den rechten Ärmel meines T-Shirts. Schmerzen spüre ich keine. Bevor ich weiterlaufen kann, zerrt mich plötzlich ein Feuerwehrmann zur Seite. »Hier kannst du nicht mehr durch!«, schreit er mich an. »Alles abgesperrt!«
    Hinter mir haben mehrere Krankenwagen geparkt, deren wirbelnde Blaulichter alles vor meinen Augen kreiseln lassen. Dazwischen die verzerrten Stimmen aus verschiedenen Funktelefonen. Tatsächlich nimmt mein Schwindel zu, wahrscheinlich habe ich einfach zu viel Rauch eingeatmet. Wo ist Romeo? Wo ist Romeo?
    Jetzt nur nicht umkippen. Ich stütze mich an der Seite eines gepanzerten Polizeiwagens ab. Der gibt aber plötzlich Gas, um eine Gruppe von Jugendlichen auseinanderzutreiben, die begonnen haben, die Hilfskräfte mit Steinen zu bewerfen.
    Das Letzte, an was ich mich erinnere, ist ein dumpfer Schlag auf meinen Kopf. Ich kann später nicht mehr sagen, ob von hinten oder von der Seite. Alles wird dunkel und leise, bis es völlig still um mich ist.

Schokolade – iChocolate

    Als ich wieder zu mir komme, ist es noch immer leise, aber helles Tageslicht scheint durch unser kleines Fenster daheim.
    Als Erstes erkenne ich Makhulus besorgtes Gesicht, die sich über mich gebeugt hat und mir mit einem feuchten Tuch über die Stirn wischt. Ich drehe meinen Kopf zu ih r – und spüre einen stechenden Schmerz am Hinterkopf.
    »Das war ein Stein«, sagt sie mit ihrer rauen Stimme. »Musste genäht werden, fünf Stich e …«
    Erst langsam komme ich zu mir und erinnere mich an die Schrecken der letzten Nacht. Oder ist es schon länger her?
    Als könnte sie meine Gedanken lesen, erklärt Makhulu weiter: »Du hast zwei Tage und Nächte geschlafen, Jabu! Ich bin erst gestern von der Beerdigung mit dem Bus zurückgekehr t … und heute ist schon Dienstag!«
    Warum habe ich einen Stein abbekommen? Wer hat mich gefunden? Warum bin ich in dem Chaos herumgelaufen?
    »Alle Zeitungen stehen voll von den Überfällen auf Ausländer im ganzen Land, nicht nur bei uns«,
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