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Romeo und Jabulile

Romeo und Jabulile

Titel: Romeo und Jabulile
Autoren: Lutz van Dijk
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versuche ich ihn zu warnen.
    »Ich habe schon ganz andere Leute überlebt«, sagt er wieder ohne jede Panik. Und fährt dann fort: »Was mir viel mehr Sorge macht, sind die Angriffe auf unschuldige Frauen, wie letzte Nacht. Das ist noch nicht ausgestanden, denke ich.«
    Er hat so viel mehr Erfahrung als ich. Romeo ist fest entschlossen, auch seine Mutter noch heute Abend aus Masi herauszuholen und sie ebenfalls hier in seiner Hütte schlafen zu lassen.
    »Aber du bist doch selbst gefährdet. Kann deine Tante das nicht tun?«, bitte ich ihn voller Sorge.
    »Nein, sie kennt den Weg hierher nicht so gut. Das muss ich allein tun«, sagt er wieder mit einer Ruhe, die mich beeindruckt.
    »Dann komme ich mit dir!«, rufe ich, aber es klingt gar nicht ruhig bei mir.
    Inzwischen ist es dunkel geworden, und der wackelige Scheinwerfer am Kran über uns springt an.
    »Komm«, sagt er plötzlich und geht voran zum gemauerten Fundament des rostigen Krans, der bestimmt zehn Meter hoch ist. An einer Außenseite ist eine schmale Eisenleiter montiert, auf der er jetzt hinaufzuklettern beginnt. »Von oben hast du eine gute Aussicht auf Mas i …«
    Er ist schon beinah zur Hälfte oben, als auch ich ihm folge. Man muss aufpassen, um sich nicht die Finger an dem rostigen Metall aufzuschneiden. Der Kran scheint schon lange nicht mehr in Betrieb zu sein.
    Ganz oben ist eine kleine Plattform, wie ein winziger Balkon, nur ohne Brüstung. Als ich schon fast oben bin, reicht er mir seine Hand und zieht mich das letzte Stück hinauf. Wieder bin ich überrascht, wie stark er ist.
    »Schau mal«, sagt er leise und zeigt auf die vielen kleinen Häuser, die sich fast bis zum Horizont erstrecken. Hier und da sind kleine Feuer, längst nicht alle Straßenlaternen funktionieren. Für einen Augenblick wirken die Häuschen wie Klötze aus einem Kinderbaukaste n – bunt durcheinandergewürfelt, so als müsste nur noch irgendwann aufgeräumt werden.
    »Es sieht so friedlich aus von hier oben«, sage ich leise.
    »Ich würde schrecklich gern mit dir wegfliegen«, flüstert Romeo mir ins Ohr.
    »Glaubst du, dass es woanders wirklich besser ist?«, frage ich ebenso leise zurück.
    »Ich weiß es nicht«, antwortet er.
    Bevor wir weiterreden können, gibt es plötzlich einen lauten Knall, gar nicht weit von Pastor Khanyas Kirche. Eine Stichflamme schießt aus einer der Hütten, bestimmt fünf Meter hoch, und Menschen schreien um Hilfe.
    Bevor wir die genaue Ursache erkennen können, knallt es gut zwanzig Meter weiter erneut, und ein zweites Feuer bricht aus. Dann das dritte und noch eines und noch eines, als hätte jemand eine Kettenbrandstiftung vorbereitet. Wir hören Menschen schreien und sehen von hier oben genau, wie ihnen in den brennenden Hütten nicht geholfen wird, sondern andere begonnen haben, sogar noch auf sie einzuschlagen und sie vor sich herzutreiben.
    Für mehrere Sekunden haben wir wie gelähmt vor Entsetzen auf die Szenen unter uns geschaut. Jetzt springt Romeo auf und schreit von unserer Plattform in die Nacht, wie ich noch nie einen Menschen habe schreien hören. So laut, so verletzt, so schmerzvoll: » Stop it, stop it, god, stop it !«
    Ohne sich vorzusehen, klettert er immer gleich drei Sprossen auf einmal hinab. Einmal rutscht er mit seinem zu kurzen Bein ab und stürzt gut zwei Meter nach unten, bevor er das Geländer wieder zu packen bekommt. Nur viel langsamer komme ich nach. Ich sehe, wie seine Hand blutet.
    »Warte auf mich«, flehe ich ihn an.
    Aber er ist schon unten und dreht sich nur noch einmal um. Seine Stimme überschlägt sich, als er mir zuruft: »Ich muss zu Mutter, ich muss Mutter holen!« Dann rennt er los. Trotz seines Beines gelingt es mir nicht, ihn einzuholen. Als ich bei der Mauer mit der Zementplatte ankomme, liegt sie achtlos zur Seite geworfen, als hätte es jetzt keine Bedeutung mehr, den Eingang zu verbergen.
    Am schlimmsten ist, dass ich ihn aus den Augen verloren habe. Bei der Schule ist noch alles relativ ruhig, aber je näher ich der ersten Straße komme, umso größer wird der Lärm, das Schreien und Krachen, das Knallen und Rufen. Inzwischen wehen auch dichte Qualmwolken aus verschiedenen Richtungen. In der Ferne sind die heulenden Sirenen sich nähernder Feuerwehrautos zu hören. Wo ist Romeo? Wo ist Romeo?
    Endlich habe ich mich bis zu Pastor Khanyas Kirche durchgeschlagen. Am Fenster im ersten Stock sehe ich seine Frau, die versucht, ein heulendes Kind zu beruhigen.
    »Wo ist Ihr Mann?«, schreie
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