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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit
Autoren: Georg Klein
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Fenster. Mein Schnäuzchen küsst sein Umschlagbild, so feucht es kann. Drei Männer knien vor der Flanke eines mächtigen, mit einem Kreuz geschmückten Panzers. Der linke hat ein Akkordeon vor der Brust, der mittlere schiebt sich die Panzerbrille in den hellen Schopf, der rechte spannt die Wangen und schürzt die schön geschwungene Oberlippe zu einem zeitlos liebreizenden Lächeln. Wie schade, dass unsere Mutter, in deren Nachttischschublade die Briefe und die Feldpostkarten ihres großen Bruders ruhen, partout keinen Roman mit Soldaten, erst recht keinen, der in diesem vorläufig letzten Weltkrieg spielt, mit nach Hause nehmen mag!
    Ich lächle einfach mit. Ich lächle im Geiste gleich dem bildhübschen Panzerfahrer. Ich bin’s. Ich bin’s gewesen undwerd es wieder sein. Ich bin nicht viel. Und doch bin ich nicht nichts. Schon jetzt, am ersten Ferientag, bin ich der heimliche Operettenbalg des erbsengrünen Blocks. Wieder hat es kaum mehr als die Musik gebraucht. Ein männliches Quantum selbstgemixten Mokka-Likörs löscht alle Vorsicht, ein weibliches Quäntchen Grusel vor grausamen Piraten macht hinreichend empfänglich, Quantum und Quäntchen finden zueinander, schon dürfen die Flüstersteine wispernd weitergeben, was den Eltern der Brüder da geschieht. Im Nu hat es angeschlagen und beginnt zu wachsen. Das wächst und wächst, solang es darf. Zum Nichtchen eines Kommandanten, zur Mäuse-Souffleuse wird es wieder reichen. Erneuter Sommer, komm! Die Räder des Zwillingskinderwagens sollen schnurren und rattern. Der Spiegelneger schält seine Ami-Muskeln aus dem türkisen Hemd. Der Vater kämpft im Affentanz und hat in hellsichtigem Spaß gesagt, dass sich die Mutter noch zu Tode lesen wird. Mein ältester Bruder krückt den Rosenhang hinauf zum Bärenkeller und wirft im Licht der Kegelbahn den Speer. Der Bär zerreißt sein Fell. Der große Imker und der kleine Imker saugen an ihren Pfeifen aus Lakritz. Der süße Rauch, der Bärenkellernebel, hält ihnen die Immen und deren Zorn über den Honigraub vom Leib. Nichts sieht sich reflektiert im Glanz des Medaillons. Wohl oder übel wird der Blutkerl Kind und Kegel anvisieren. Jedoch bevor mich seine mordsschwere Gummikugel trifft, zupfe ich mir höchstselbst die Stummelglieder lang und bade zum Entzücken meiner invaliden Panzerfahrer mit langem, nachtblondem Haar und milchig nackt in einem schwarzen See.

Informationen zum Buch
    «Die Menschen sind tollkühne Tiere», so begann sein letzter Roman. Dieser nun handelt von unseren tollsten, kühnsten und womöglich gefährlichsten Artgenossen: den Kindern. Georg Klein versetzt uns zurück in das Licht der frühen sechziger Jahre, an den Rand einer süddeutschen Stadt. Ein scheinbar ewiger Sommer umfängt Neubaublöcke, amerikanische Kasernen, eine Laubenkolonie, ein verlassenes Wirtshaus unter uralten Kastanien.
    Doch dann kommen die Boten: der Mann ohne Gesicht, der Fehlharmoniker, der mysteriöse Kommandant Silber. Und als der taube Sittichzüchter die Ermordung eines der Siedlungskinder voraussagt, müssen der Ältere Bruder und seine Freunde auf die Nachtseite des Sommers überwechseln. Dort gilt es, das Böse durch einen großen magischen Tauschhandel zu bannen.
     
    Georg Klein erzählt vom Kindsein, von dessen Abenteuern, übergroßen Aufregungen und Gefahren; «Roman unserer Kindheit» ist zugleich ein radikal autobiographisches und dämonisch-phantastisches Buch. Und erneut gelingt das Besondere: «Bei aller versierten Artistik auch einen Weg in die Herzen der Menschen zu finden; sie nicht nur zu verblüffen, sondern sie zu rühren, diese insgesamt doch recht wählerische, schwer zu erschütternde Spezies.» . (Harald Jähner, Berliner Zeitung)

Informationen zum Autor
    Georg Klein, 1953 in Augsburg geboren, veröffentlichte die Romane «Libidissi», «Barbar Rosa» und «Die Sonne scheint uns» sowie die Erzählungsbände «Anrufung des blinden Fisches» und «Von den Deutschen». Für seine Prosa wurden ihm der Brüder-Grimm-Preis und der Bachmann-Preis verliehen; für «Roman unserer Kindheit» erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse 2010.   Zuletzt erschien sein Roman «Sünde Güte Blitz».
    Georg Klein lebt mit seiner Frau, der Schriftstellerin Katrin de Vries, und zwei Söhnen in Ostfriesland.
     
    www.devries-klein.de

Impressum
    Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Mai 2010
    Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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