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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit
Autoren: Georg Klein
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Gefecht, im Tiger ging. Es braucht nicht mehr als einen Sehschlitz in die Welt, um den Feind treffgenau anzuvisieren. Der Richtschütze sieht das Medaillon hinter der Spitze baumeln. Er packt es mit der Linken, reißt es vom Bändel, bemerkt, wie blank, wie bildleer beide Seiten sind, und klemmt sich das Oval als ein Monokel vor das tote Auge. Mattsilbrig fängt es eine ungeheure Menge Licht.
    Ich bin’s! Ich bin im Bild! Er aber weiß, dass er nicht fehlen wird, so er nur alles außer ihrem Ziel ins Abseits, in die schwarze Wand des Schusskanals, verschwinden lässt. Bloboß keibeineben Schnebellschubuss! Die Mäuse, meine kurzlebigen Mäuschen, deklamieren es mit mir im Chor. Der kalte Kommandant gibt Feuer frei. Der Schütze wirft. Er wirft im richtigen Moment. Er wirft, und im Augenblick des Abwurfs springt Sputnik los, fast katzenhaft geschwind schnellt sie nach vorn, sie will den Speer, den sie in flachem Bogen fliegen sieht, unterlaufen und noch vor dem Eindringen der Spitze die Zähne in den Leibsack des Gegners schlagen. Aber die Krücke unseres großen Bruders ist schneller als Tiger, Wolf und Hund. Der Blutkerl löst im letzten Akt, der seinem schlimmen Willen bleibt, die Fingerkuppen von der Kugel. Sie senkt sich mit dem rechten Schwung, im idealen Winkel aufs schrecklich glatte Holz. Gubut Hobolz! Aubauch ibich hababebe Hubumobor! Sie rollt. Die schwarze Kugel eiert über die altersschiefe Bahn. Sie rollt mit der ihr eigenenschicksalsblöden Sturheit auf die Kegel zu, während die Lanzenspitze sich in die Hülle des Keglers bohrt. Mein lieber Blutkerl platzt. Seine Gestalt zerspritzt. Sputnik schnappt rot geblendet bloß noch ins Leere. Gleich wird sie sich mit verwirrtem Jaulen in der großen roten Pfütze zweimal um die eigene Achse drehen, bis sie – klitschnass klebt ihr das Fell am Leib! – zumindest einen größeren Fetzen der zusammengeschnurrten Gummihaut entdeckt und ihre Fänge um den zähen Lumpen schnappen.
    Die Mutter krümmt sich, krümmt sich über den Tisch. Sie gräbt die Zähne in die Unterlippe und hält für einen langen, von Tränen verschlierten Blick die Luft an. Sie schaut zurück, hinüber zur Lücke zwischen Couch und Wand, und wünscht sich, das aufklaffende Dreieck möge sich in einem gnädigen Zurückrucken der Zeit wieder zu einer Linie schließen. Erst hatte sie das elende Ding bloß schieben wollen. Jedoch die Sofafüßchen klebten irgendwie fest. Und ärgerlich, wie sie deswegen war, ließ sie sich doch noch zu einem Heben, zu jenem von Doktor Junghanns strengstens untersagten Hochheben von Schwerem aller Art verleiten. Mit einem bösen, mit einem höhnischen Flupp lösten sich zwei Beinchen des Möbels vom gebohnerten Boden. Vielleicht wäre in diesem Augenblick, als sie das helle Oval sah, das der vordere Fuß auf den nachgedunkelten Dielen freigab, noch Zeit gewesen, mit einem vorsichtigen Absetzen oder einem schlichten Plumpsen-Lassen das Arge in seinem Fortgang aufzuhalten. Aber etwas in ihr wollte mit gnadenloser Unbedingtheit hinter das rote Sofa hin.
    Es ist bereits das dritte rote Polsterding, das in der Küche Dienst tut. Die kleine Serie hatte eine Kriegscouch aus einem Gebrauchtmöbelgeschäft in Oberhausen eröffnet, ohne jedeSpur von Abnutzung und erzsolide, aber auch hässlich wie das Reich, für das ihr stumpfes Vogelbeerenrot geradestehen musste. Die zweite war neu und ihre ins Orange spielende Grellheit fast amerikanisch schick, aber das Doppelhopsen der Zwillinge hat bald eine Spiralfeder nach der anderen brechen lassen. Deswegen wurde bei der Anschaffung der dritten roten nicht gespart. Sie ist ein bisschen höher und breiter als ihre beiden Vorgängerinnen, die Mutter sah sofort, wie wunderbar viel sich in ihrem Bauch verstauen lassen würde, und noch mehr entzückte sie der feste, nachtschwarze Stoff, der mit Polsternägeln aus Messing über ihre Rückseite gespannt ist. Der Vater schüttelte nur unverständig den Kopf, als sie sich just deswegen für die rote und gegen eine preiswertere, genauso hübsche grüne Couch entschied.
    Das Schwarze war’s erneut! Die schwarze Wandseite hat unsere Mutter zum zweiten Mal unwiderstehlich angezogen. Der Staub, den sie dort hinten saugen oder wischen wollte, und auch das letzte Dragée, das sich dorthin verzogen hat, waren dagegen so unwichtig wie die Polsternägel. Das Schwarze gab den Ausschlag. Das Schwarze, auf dem die blöden Messingköpfe wie Sterne prangen können. Schon damals bei Möbel-Herbert in
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