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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit
Autoren: Georg Klein
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Küchenradio nicht läuft. Nach hinten schleichend fällt ihm auf, dass im Abteil der Rosers die Briketts umgestürzt sind. Der junge Roser ist ein netter Kerl, vermutlich auch ein prima Vertreter in Herren- wie Damenunterwäsche, aber er hat zwei linke Hände, was mit dem Umfallen seiner schwarzen Kunstwand erneut bewiesen ist.
    Der Vater will im Keller verbergen, was er mit einem Wahnsinnsglück ergattert hat. Er sieht die Klappe des defekten Gasherds offen stehen, denkt kurz, er habe damit das ideale Versteck entdeckt, aber das Backrohr erweist sichnatürlich als viel zu eng, und so muss er seine Beute erst einmal unter einer alten Decke verschwinden lassen. Jetzt im Sommer kommen weder Frau noch Söhne hier herunter. Bis es, Anfang Oktober, wieder mit dem Heizen losgeht, hat er Muße, sich irgendeine kecke Erwerbslegende auszudenken. Annabett Böhm wird nichts verraten. Unten am Spielplatz hat der Vater den schwarzen Kasten schon von weitem unter der alten Buche stehen sehen und keine Sekunde daran gezweifelt, dass es sein einstiges Besitzstück war, das wie ein rücksichtslos ausgesetztes Wesen, wie ein armes Findelkind auf Rettung harrte. Also drückte er seiner Begleiterin den Lenker des Fahrrads wieder in die Hände und rannte los, wie es, seit er das Fußballspielen aufgegeben hatte, nicht mehr nötig gewesen war. Natürlich ist es unhöflich, eine schöne Frau derart ohne Erklärung stehenzulassen. Aber wer weiß, was geschehen wäre, wenn er sich nicht gesputet hätte. Wenig hätte sein Glück erneut vernichten können. Womöglich hätte das Gewicht eines einzigen landenden Vogels, einer boshaften Elster oder einer dummen Taube, ausgereicht, um irgendeinen dicken, aber durch und durch morschen Ast zu brechen, und das herabstürzende tote Holz hätte ihm sein diatonisches Akkordeon und alle Hoffnung auf ein zukünftiges Quetschen, Ziehen und Knöpfedrücken, jedwede Freude an altbekannten und noch kommenden Liedern kaputt geschlagen.
    Ich schwinde. Pling-plang! Schon bin ich schlüpfrig auf meinem letzten Weg. Erneut ist es nicht weit. Gerade mal eine Hand lang Gleitbahn, und unsereine ist aus der Welt. Deswegen habe ich mir den einen oder anderen Umweg auf und sogar unter der Neuen Siedlung gönnen müssen. Hat wieder schaurig schönen Spaß gemacht! Die Kinder warenerneut mit Leib und Lieb und Seele bei der Sache, sie haben erzbrav aufgepasst und eine Menge mitbekommen. Manchmal war es ein bisschen viel auf einmal, bisweilen ging es halt arg hurtig zu. Gerade als der Blutkerl die schwarze Kugel weit nach hinten schwang, weit genug, um eine ungeheure Kraft aus irgendeinem Hinten oder Zuvor herbeizuziehen, war doch noch die Tür, die Tür in der Mitte der Längswand aufgesprungen. Die weiße Schäferhündin kam mit großen Sätzen. Alle erkannten die Gefährtin des Blinden, auch wenn sie nun, ihrer Alltagspflichten ledig, ohne Geschirr und Haltegriff, so frei wie eine Wölfin auf den Blutkerl zuflog. Sybille zischte: «Sputnik, fass!» Und Sputniks Zähne taten ihr den Gefallen.
    Später, als sie Sybilles kranke kleine Schwester zur Mauer brachten, murmelte der Wolfskopf noch einmal: «So eine Sauerei, so eine Riesensauerei!» Und alle wussten, was er meinte. Das wunderbare Fell war über und über rot bespritzt gewesen. Der Blutkerl, dessen zusammengeschnurrte Hülle sie in den Fängen hielt und knurrend wie einen nassen Lappen hin und her schlug, hatte sein Inneres, seine ganze eklige Füllung über das liebe Tier ergossen. Pitschnass verschwand die Hündin durch die Tür. Die Kinder lösten sich von ihren Plätzen. Im Gänsemarsch ging es zum Ausgang, und einer nach dem anderen hob vorsichtig seine Sandalen über die feuchten Abdrücke der Pfoten.
    Draußen war Tag, wunderbar simpler Tag. Ein Wind bewegte die Kastanienkronen. Sybille deutete auf einen Berg vergessener Briketts, der, von gelbem Gras und kümmerlichem Unkraut überwachsen, fast rampenartig gegen die Mauer anstieg. Der Ami-Michi und der Schniefer, die Sybilles kleine Schwester untergehakt hatten und mehr mit sich schlepptendenn führten, waren heilfroh über den Haufen. Nur eine Treppe wäre noch bequemer zu erklimmen gewesen. Der Ältere Bruder staunte, wie behutsam die beiden die Taumelnde nach oben schoben. Und weil ihm dabei der Blick über die zerkratzten Waden und Fersen der Kleinen bis auf den Grund sank, entdeckte er noch eine andere Gemeinschaft, die den Briketthaufen zu nutzen wusste. Es herrschte ein reges Heranfliegen und
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