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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition)
Autoren: M. Agejew
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Ungewöhnliches passierte.

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    Wir waren in der fünften Klasse und hatten Deutschstunde bei von Volkmann, einem vollkommen glatzköpfigen Mann mit rotem Gesicht und weißem, rostdurchzogenem Schnauzbart, wie Iwan Maseppa. 10 Erst fragte er Burkewitz am Platz aus (er nannte ihn Burkewitz mit der Betonung auf « u»), aber weil ihm jemand aufdringlich laut soufflierte, wurde von Volkmann wütend, sein Gesicht verfärbte sich sogleich von orange nach dunkelrot, er befahl Burkewitz, von der Bank an die Tafel zu kommen, brummte «Verdammte Bummelei » * und zog schon wieder zärtlich an seiner Wutbremse – dem weiß-roten Schnauzbart. Burkewitz stand an der Tafel und wollte gerade antworten, als ihm etwas überaus Unangenehmes passierte. Er nieste, aber nieste so unglücklich, dass aus seiner Nase der Rotz flog und ihm schaukelnd nahezu bis zum Gürtel hing. Alle feixten.
    «Was ist denn wieder los?» * , fragte von Volkmann, und als er sich umgedreht und erkannt hatte, was los war, fügte er hinzu: «Na, ich danke . » * Burkewitz, vor Peinlichkeit erst rot angelaufen, dann grünlich erblasst, durchsuchte mit zittrigen Händen seine Taschen. Er hatte aber kein Taschentuch bei sich. «Könntest du, mein Lieber, bitte deine Austern da abpflücken ?» , bemerkte Jag. «Gütiger Gott, wir müssen gleich noch zu Mittag essen .» – «So eine Züfall » , staunte Takadschijew. Die ganze Klasse brüllte schon vor Lachen und Burkewitz rannte völlig verstört und höchst beklagenswert auf den Gang. Von Volkmann, mit dem Bleistift auf den Tisch klopfend, schrie fortwährend «Rrruhe ! » * , allerdings war im allgemeinen Gelächter nur das Geblaffe des ersten Buchstabens zu hören, ein Klang, der erstaunlich gut den Ausdruck seiner Augen wiedergab, die schon dermaßen hervorstanden, dass wir weniger Angst um uns hatten als um von Volkmann selbst.
    Am nächsten Tag aber, wieder in der Deutschstunde, rief von Volkmann, diesmal offensichtlich gut gestimmt und zum Lachen aufgelegt, Burkewitz erneut auf. «Barkewitz! Übersetzen Sie weiter» * , wies er an und fügte mit vorgetäuschtem Entsetzen hinzu: «Aber selbstverständlich nur im Falle, wenn Sie heut ’n Taschentuch besitzen .» *
    An von Volkmann war bemerkenswert, dass man nur in Kenntnis der vorangegangenen Ereignisse erraten konnte, ob er hustete oder lachte. Als die Klasse nun sah, wie er nach diesen Worten den Mund weit öffnete, einen brodelnden, heiseren und glucksenden Strahl ausstieß, wie die rostroten Spitzen seines Schnauzbartes sich hoben, als wehte aus seinem Mund ein schrecklicher Wind, und wie auf seiner Glatze, nun himbeerfarben, eine lila Ader vom Durchmesser eines Bleistifts anschwoll – da brach sie in wildes, hysterisches Gelächter aus. Stein warf den Kopf zurück, hielt gequält die Augen geschlossen und schlug mit der Kante seiner weißen Faust heftig auf die Bank; als alle sich wieder beruhigt hatten, wischte er sich die Augen und machte «Uff » .
    Erst nach einigen Monaten verstanden wir, wie grausam, ungerecht und fehl am Platze dieses Lachen gewesen war.
    Nachdem nämlich Burkewitz diese Unannehmlichkeit passiert war, war er nicht in die Klasse zurückgekehrt, sondern erst am darauffolgenden Tag wieder aufgetaucht, mit einem fremden, versteinerten Gesicht. Von diesem Tag an existierte für ihn die Klasse nicht mehr, es war, als hätte er uns begraben, und wahrscheinlich hätten auch wir ihn nach einiger Zeit vergessen, wenn wir und die Lehrer nicht nach einer weiteren Woche etwas außerordentlich Merkwürdiges bemerkt hätten.
    Die Merkwürdigkeit bestand darin, dass Burkewitz, unser Befriedigend-bis-ausreichend-Burkewitz, plötzlich unerwartet und unaufhaltsam begann, sich von der Mitte des Hufeisens wegzubewegen und sich, zunächst sehr langsam, dann immer schneller und schneller, am Hufeisen entlang bis an das Ende zu Eisenberg und Stein vorzuarbeiten.
    Zuerst ging diese Bewegung sehr stockend und mühevoll vor sich. Überflüssig zu erwähnen, dass nicht einmal das Notensystem einen Lehrer daran hinderte, sich weniger vom Wissen des Schülers leiten zu lassen, das dieser im Moment des Abfragens erkennen ließ, als vielmehr vom Ruf des Wissens, den der Schüler sich mit den Jahren erworben hat. Es kam vor, wenn auch sehr selten, dass so manche Antwort von Stein oder Eisenberg derart schwach war, dass Takadschijew, wäre er an ihrer Stelle gewesen, mit Sicherheit eine Drei bekommen hätte. Da es sich aber um Eisenberg und Stein handelte, die
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