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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition)
Autoren: M. Agejew
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seit Jahren verdienten Fünferschüler, gab der Lehrer ihnen sogar für solche Antworten, wenn auch womöglich widerstrebend, eine Fünf. Die Lehrer dafür der Ungerechtigkeit zu bezichtigen wäre genauso gerecht, wie die ganze Welt der Ungerechtigkeit zu bezichtigen. Es geschieht doch ständig, dass verdiente Berühmtheiten, Fünferschüler der schönen Künste, von ihren Kritikern sogar für so schwache und liederliche Dinge begeistert gefeiert werden, dass, wären diese von einem anderen geschaffen worden, einem Namenlosen, dieser im besten Falle wie Takadschijew mit einer Drei hätte rechnen dürfen. Die Hauptschwierigkeit bestand für Burkewitz aber nicht in seiner Namenlosigkeit, sondern – und das war noch viel schlimmer – in seinem über Jahre etablierten Ruf des Dreierschülers. Der Ruf dieser Durchschnittlichkeit hinderte ihn am Vorankommen und stand vor ihm wie eine unzerstörbare Mauer.
    Natürlich war all das nur anfangs so. Die Psychologie des Fünfnotensystems war so angelegt, dass man von einer Drei zu einer Vier einen ganzen Ozean durchschwimmen, von einer Vier zu einer Fünf aber nur die Hand ausstrecken musste. Burkewitz kämpfte sich unterdessen weiter vor. Langsam und hartnäckig, keinen Fußbreit vom Weg abweichend, immer vorwärts, bewegte er sich die Krümmung entlang, immer näher an Eisenberg, immer näher an Stein heran. Am Ende des Schuljahres (die Geschichte mit dem Nieser passierte im Januar) war er schon ganz dicht an Eisenberg, allein aus Zeitmangel konnte er sich mit ihm nicht mehr messen. Als aber nach der letzten Prüfung Burkewitz, noch immer mit versteinertem Gesicht und sich von niemandem verabschiedend, zur Garderobe ging, ahnte keiner, dass wir Zeugen eines erbitterten Kampfes werden würden – eines Kampfes um den ersten Platz, der gleich zu Beginn des neuen Schuljahres eröffnet werden sollte.

5
    Der Kampf begann in den ersten Tagen. Auf der einen Seite Wassili Burkewitz, auf der anderen Eisenberg und Stein. Auf den ersten Blick mochte er sinnlos erscheinen: Weder Burkewitz noch Eisenberg oder Stein hatten andere Zensuren als Fünfen. Und doch gab es einen Kampf, erbittert und hitzig, um jenen unsichtbaren Zuschlag auf die Fünf, um die Größe der über sich hinauswachsenden Zensur, die man zwar im Klassenbuch nicht besser darstellen konnte, die von der Klasse und den Lehrern jedoch deutlich wahrgenommen wurde, weswegen sie als das Zipfelchen diente, dessen Länge über den ersten Platz entscheiden würde.
    Der Geschichtslehrer folgte diesem Wettbewerb mit besonderer Aufmerksamkeit, es kam sogar vor, dass er während einer Stunde alle drei nacheinander aufrief: Eisenberg, Stein und Burkewitz. Niemals werde ich diese elektrisierte Stille im Klassenzimmer vergessen, die feuchten, gierigen und heißen Blicke, die verhaltene und darum nur umso explosivere Unruhe; es scheint mir, dass wir ganz genau so bei einem Stierkampf mitgefiebert hätten, wenn wir unsere Gefühle nicht mit Schreien hätten ausdrücken können.
    Eisenberg trat als Erster aus seiner Bank hervor. Dieser kleine, ehrliche, fleißige Junge wusste alles. Er wusste alles, was zu wissen war, ja sogar mehr als das, sogar mehr, als man von ihm verlangte. Aber so wie die Fakten, die man in der laufenden Stunde von ihm hören wollte, nicht mehr als eine trockene Zusammenfassung historischer Ereignisse waren – obwohl er sie tadellos, genau und fehlerfrei rezitierte – , so waren die Kenntnisse, die man durchaus nicht von ihm erwartete und mit denen er glänzen wollte, nicht mehr als das Vorauseilen in chronologische Fernen noch nicht gehörter Lektionen.
    Dann trat Stein auf, schnell, wie immer, und verbog den ganzen Raum mit seiner schiefen Pose. Noch einmal dieselbe Frage wie an Eisenberg – und Stein begann die Antwort meisterhaft herunterzurattern. Das war schon nicht mehr der Eisenberg mit den Schluckgeräuschen von Speichel und den ungelenken «mtje » , mit denen er jede seiner Ausführungen begann. In gewissem Sinne war das, was Stein von sich gab, sogar glänzend. Er bebte wie ein starker Motor, reichlich sprühten die Funken der Fremdwörter, die wie gut gebaute Brücken seine Rede nicht ausbremsten, er führte lateinische Zitate an, und seine deutliche Aussprache trug all das zu unseren Ohren, erlaubte uns, angenehm zu entspannen, nötigte uns nicht, aufmerksam zuzuhören oder uns anzustrengen, ließ aber gleichzeitig nicht zu, dass auch nur ein einziger Klangtropfen ins Leere fiel. Stein endete mit
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