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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition)
Autoren: M. Agejew
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sei eine verarmte Gouvernante gewesen, die mich mit Empfehlungsschreiben aufgesucht habe; wenn gewünscht, könne ich sie einander gerne vorstellen, Bemühungen um sie würden wohl nicht erfolglos bleiben. Als ich das gesagt hatte, fühlte ich auch schon, weniger durch meine Worte als durch das Gelächter, das sie hervorriefen, dass mir das zu weit ging und ich so nicht hätte reden sollen. Als Mutter das Geld eingezahlt hatte und herauskam, ohne jemanden anzusehen, gebeugt, als bemühte sie sich, noch kleiner zu werden, und so schnell sie nur konnte auf ihren klappernden, abgelaufenen und völlig schiefen Absätzen den kleinen asphaltierten Weg zum Tor ging, da fühlte ich, dass sie mir im Herzen leidtat.
    Dieser Schmerz, der im ersten Moment so heftig in mir brannte, hielt allerdings nicht lange an, wobei sein deutliches Versiegen, also meine völlige Heilung von diesem Gefühl, in zwei Phasen vor sich ging: Als ich von der Schule nach Hause kam, in die Diele trat und durch den engen Flur unserer ärmlichen, elend nach Essen riechenden Wohnung in mein Zimmer ging, da schmerzte das Gefühl zwar nicht mehr, aber ich erinnerte mich noch, wie quälend es vor kaum einer Stunde gewesen war; als ich dann aber das Esszimmer betrat, mich an den Tisch setzte und Mutter, mir gegenüber, die Suppe austeilte, da fühlte ich nicht nur kein Mitleid mehr, sondern schien es mir unvorstellbar, dass es mich irgendwann einmal hatte beunruhigen können.
    Kaum fühlte ich mich etwas erleichtert, versetzte mich eine Flut boshafter Gedanken in Aufregung. Hätte eine so greise Alte nicht begreifen müssen, dass ihr Aufzug mich blamierte, dass es völlig überflüssig gewesen war, mit dem Umschlag in die Schule zu trotten, und sie mich damit zur Lüge gezwungen und der Möglichkeit beraubt hatte, Kameraden nach Hause einzuladen? Ich schaute zu, wie sie ihre Suppe aß, wie sie mit zittriger Hand den Löffel hob, wobei die Hälfte wieder zurück in den Teller tropfte, blickte auf ihre gelblichen Wangen, ihre von der heißen Suppe gerötete Nase, sah, wie sie mit ihrer weißlichen Zunge nach jedem Löffel das Fett ableckte, und hasste sie glühend und abgrundtief. Als Mutter meinen Blick auf sich gerichtet spürte, schaute sie mich wie immer zärtlich mit ihren verblassenden braunen Augen an, legte den Löffel zur Seite und fragte, als fühle sie sich durch diesen Blick genötigt, irgendetwas zu sagen: «Schmeckt’s ?» Sie sprach mit verstellter Stimme, wie mit einem Kind, und nickte dabei fragend und mich ermuntern wollend mit ihrem grauen Kopf. «Smeckt » , äffte ich sie nach, weder bejahend noch verneinend. Ich sagte dieses «smeckt » mit einer angewiderten Grimasse, als müsste ich mich übergeben, und unsere Blicke – meiner kalt und hasserfüllt, ihrer warm, offenherzig und voller Liebe – trafen sich und flossen ineinander. So saßen wir lange; ich sah genau, wie der Blick ihrer gütigen Augen sich eintrübte, dann einen ungläubigen und schließlich traurigen Ausdruck annahm – aber je deutlicher mir wurde, dass ich gesiegt hatte, desto weniger spürte und verstand ich meinen Hass auf diesen liebenden, betagten Menschen – der Hass, durch dessen Kraft ich diesen Sieg errungen hatte. Vermutlich hielt ich darum ihrem Blick nicht länger stand, senkte als Erster die Augen, nahm den Löffel und begann zu essen. Als ich, innerlich versöhnt, etwas sagen wollte, irgendetwas Unbedeutendes, hob ich den Kopf – doch die Worte blieben mir im Hals stecken, und ich sprang unwillkürlich auf. Mutters Hand, die den Suppenlöffel hielt, lag auf der Tischdecke. Mit der anderen stützte sie den Kopf, den Ellenbogen auf dem Tisch. Ihre schmalen Lippen waren nach oben gezogen und verzerrten das Gesicht. Aus den braunen Höhlen der geschlossenen, fächerartig mit Falten überzogenen Augen flossen Tränen. Wie schutzlos das kleine, gelbe, alte Köpfchen in diesem Augenblick aussah, so voll sanften und kummervollen Kummers; es lag so viel Hoffnungslosigkeit in diesem Anblick, weil niemand in diesem abstoßenden Alter ihrer mehr bedurfte, sodass ich, die ganze Zeit zu ihr hinüberschielend, mit verdächtig ungehaltenem Ton sagte: «Na, was denn, nun hör schon auf, es gibt ja keinen Grund » , und gerade «Mamotschka » hinzufügen, vielleicht sogar zu ihr gehen und ihr einen Kuss geben wollte, als von draußen, vom Flur, die Njanja hereinkam, auf einem Filzstiefel balancierend und mit dem anderen die Tür aufstoßend, um den nächsten Gang zu
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