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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition)
Autoren: M. Agejew
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bringen. Ich weiß nicht, für wen und wozu, jedenfalls schlug ich da mit der Faust auf den Teller und war nun angesichts der schmerzenden Hand und der über die Hose verschütteten Suppe vollends von meinem Recht überzeugt, was der erschreckte Aufschrei der Njanja auf seltsame Weise noch zu bekräftigen schien – drohend und fluchend lief ich in mein Zimmer.
    Kurz darauf zog Mutter sich an, ging aus dem Haus und kehrte erst gegen Abend zurück. Als ich hörte, wie sie von der Diele auf klappernden Absätzen den Flur entlang direkt zu meiner Tür kam, wie sie anklopfte und «Darf ich ?» fragte, da stürzte ich zum Schreibtisch, nahm mit dem Rücken zur Tür Platz, schlug eilig ein Buch auf und sagte gelangweilt: «Komm rein .» Mutter durchquerte den Raum und näherte sich mir unschlüssig von der Seite; ich tat, als sei ich in das Buch vertieft, sah aber, dass sie noch immer ihren Pelzmantel und die lächerliche schwarze Haube trug. Sie zog die Hand unterm Mantel hervor und legte zwei Fünfrubelscheine auf den Tisch, die so zerknittert waren, als wollten sie sich vor Scham klein machen. Sie streichelte mit ihrer krummen Hand über die meine und sagte leise: «Sei mir nicht böse, mein Sohn. Du bist doch ein guter Junge. Ich weiß das .» Sie strich mir übers Haar, hielt einen Moment nachdenklich inne, als wollte sie noch etwas sagen, ging dann aber ohne ein weiteres Wort auf Zehenspitzen hinaus und schloss leise die Tür hinter sich.

2
    Bald darauf erkrankte ich. Die geschäftige Unbeschwertheit des Arztes tröstete mich jedoch über meinen ersten, durchaus gehörigen Schrecken hinweg. Seine Adresse hatte ich willkürlich aus den Anzeigen der Venerologen herausgesucht, die in der Zeitung beinahe eine ganze Seite füllten. Er untersuchte mich und riss, genau wie unser Russischlehrer, wenn er unerwartet eine gute Antwort von einem schlechten Schüler erhielt, in respektvoller Verwunderung die Augen auf. Dann klopfte er mir auf die Schulter und fügte hinzu, nicht tröstend – das hätte mir missfallen – , sondern ruhig, im Vertrauen auf seine Fähigkeiten: «Grämen Sie sich nicht, junger Mann, in einem Monat werden wir das gerichtet haben .»
    Er wusch sich die Hände, schrieb die Rezepte und gab mir die nötigen Hinweise – ohne den Rubel zu beachten, den ich ihm linkisch schief hingeworfen hatte und dessen immer schnelleres Klimpern schließlich gleichsam in einen Trommelwirbel überging, ehe die Münze auf dem Glastisch zur Ruhe kam. Dann entließ mich der Arzt, genüsslich in der Nase bohrend und nicht ohne mich dabei mit düsterer Besorgtheit, die so gar nicht zu ihm passen wollte, darauf hinzuweisen, dass meine schnelle Heilung, wie meine Heilung überhaupt, ganz und gar von der Regelmäßigkeit meiner Besuche abhinge und dass es das Beste wäre, wenn ich ihn täglich besuchte.
    Obwohl ich in den nächsten Tagen begriff, dass die täglichen Besuche durchaus nicht notwendig und vonseiten des Arztes nur eine gängige Methode waren, das Klimpern meines Rubels häufiger in seiner Praxis zu hören, ging ich trotzdem jeden Tag zu ihm, ging hin, einfach weil es mir Befriedigung verschaffte. In diesem kurzbeinigen, dicken Mann, in seinem saftigen Bass, der klang, als hätte er gerade etwas Gutes gegessen, in den Falten seines fetten Halses, die an übereinandergestapelte Fahrradreifen erinnerten, in seinen fröhlichen und verschlagenen kleinen Augen, überhaupt in seinem ganzen Umgang mit mir war etwas scherzhaft Prahlerisches, Wohlwollendes, und dazu noch etwas schwer Fassbares, das mir aber angenehm schmeichelte. Er war der erste schon ältere, also «große » Mensch, der mich von jener Seite sah und verstand, von der ich mich damals zeigen wollte. Ich ging täglich zu ihm, nicht um seinetwillen, nicht wie zu einem Arzt, sondern wie zu einem Freund. Anfangs erwartete ich den verabredeten Termin sogar mit Ungeduld und kleidete mich, wie für einen Ball, in eine neue Uniformjacke, eine neue Hose und Lackslipper.
    In jenen Tagen, als ich danach strebte, mir einen Ruf als erotisches Wunderkind * zu erarbeiten, und in der Klasse herumerzählte, woran ich erkrankt war (ich sagte, dass die Krankheit schon überstanden sei, dabei hatte sie gerade erst begonnen), in jenen Tagen, als ich kein bisschen Zweifel daran hatte, dass ich in den Augen der Umstehenden durchaus an Ansehen gewinnen würde, wenn ich davon erzählte – in jenen Tagen also beging ich diese fürchterliche Missetat, deren Folge ein zerstörtes
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