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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition)
Autoren: M. Agejew
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rebellische Burkewitz, der die christlichen Lehrer herausfordert und die jüdischen Mitschüler für ihr Duckmäusertum tadelt, ein Charakter, der zum christlichen Erweckungsprediger taugen würde und sich der Revolution verschreiben wird – all diese jungen Leute sind individuell auf subtile Weise charakterisiert und fügen sich in ihren Freundschaften und Animositäten doch zum Panorama einer Gesellschaft, die unmittelbar vor ihrem Zerfall steht. Einprägsam wie die Schüler werden auch etliche ihrer Lehrer porträtiert. Von einem heißt es, dass man bei ihm nur «in Kenntnis der vorangegangenen Ereignisse erraten konnte, ob er hustete oder lachte». Der Kampf um die geistige Vormacht in der Klasse endet mit dem Triumph des predigenden Außenseiters, Burkewitz, der sich nicht in den intellektuellen Spleens, den juvenilen Ritualen, den sexuellen Abenteuern der anderen verliert, sondern zum bolschewistischen Revolutionär wird. Er wird nicht rundum positiv gedeutet, sondern als Eiferer, bei dem man sich «entweder, von Staatsbewusstsein getragen, über die Sünden der Fremden empören oder die eigenen Sünden gegen den Volkswohlstand beichten» musste; aber Burkewitz ist, wiewohl ein Intellektueller, doch ein Mann der Tat, dem der weltmüde Zynismus des Erzählers nicht genügt.
    Das zweite Kapitel, der großen, alles verzehrenden Leidenschaft des Ich-Erzählers für die verheiratete Sonja gewidmet, ist eine abgründige Seelenstudie. Sie seziert die sexuelle Verklemmung eines jungen Mannes, der zwar schon früh als Verführer reüssierte, aber seine Leidenschaft nicht mit seiner Liebe, das sexuelle Begehren nicht mit der Zuneigung zu der ersten Frau verbinden kann, die er wirklich liebt. Ausgerechnet bei ihr versagt er als Liebhaber, und aus dieser Demütigung findet er nur heraus, indem er die Gefühle der Zärtlichkeit in sich abtötet, um die verehrte Frau erniedrigen und als seine Dirne körperlich in Besitz nehmen zu können. Als sie sich ihm entzieht und in einem Brief, der glasklar seine Schwächen aufzeigt, Abschied von ihm nimmt, verliert Maslennikow den Halt.
    Erst im dritten und abschließenden vierten Kapitel spielt das im Titel angeführte Kokain tatsächlich eine Rolle. Das Thema der vorangegangenen Abschnitte waren eher die Lüge, der Betrug, die Selbsttäuschung gewesen, und die Versuche der Protagonisten, entweder als Lügner glücklich zu werden oder glücklich über den täglichen Betrug hinauszuwachsen. Jetzt aber gerät Wadim in den Bann des Kokains, in dem sich gewissermaßen die Lügenhaftigkeit seiner gesamten Existenz konzentriert: Der tägliche Betrug an der Mutter, das Verleugnen seiner Herkunft, die rücksichtslose Verführung eines jungen Mädchens im Wissen, sie mit einer Geschlechtskrankheit zu infizieren, die Liebe zu Sonja, zu der er körperlich nur fähig ist, wenn er seine Gefühle abtötet – jedwede Form von Lüge ist im Rausch des Kokains aufgehoben, wird in ihm gesteigert, der Schwere enthoben. Das Kokain ist die vollkommene Lüge, sie verlangt, anders als die vielen kleinen Lügen, dem Lügner keinen Aufwand an Ausreden und Einfällen ab, sie hat nur den Nachteil, dass sie mit immer größeren Mengen an Gift genährt sein will. Das Kokain ist aber auch so etwas wie eine alles überstrahlende Geliebte für den Süchtigen, der ihr verfällt und schon nach wenigen Wochen kein anderes Lebensziel mehr hat, als immer bei ihr zu sein, bei dieser Geliebten, dem Kokain, und für sie, für den täglichen Liebesrausch mit ihr, zu leben.
    Der Ton von Maslennikows Lebensbeichte verändert sich in den beiden letzten Kapiteln: Da sind Passagen von geradezu klinischer Schärfe der Diagnostik und Passagen, in denen die Dinge aus den Zusammenhängen geraten, ihre Proportionen verändern und mit den Augen des Berauschten gesehen, in wahnhafte Bezüge gestellt werden. Der Abstieg des Jünglings, der sich zu Hohem berufen fühlte, vollzieht sich über grausame und demütigende Stationen schauerlich rasch. Während die Revolution siegt und ringsum eine neue, die bolschewistische Ordnung errichtet wird, versinkt der Kokainist in seiner privaten Wahnwelt und in seinem Elend. Noch einmal scheint es Rettung für ihn zu geben, die Einweisung in eine Klinik für Suchtkranke. Doch der Schulkollege von einst, Burkewitz, für den sich Maslennikow einmal selbstlos eingesetzt hatte, mit einer der wenigen guten Taten, zu denen er in seinem kurzen Leben fähig war, dieser Burkewitz ist inzwischen ein
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