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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition)
Autoren: M. Agejew
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gr.
    Cocain hydrochlor
    E. Merck
    Darmstadt 34

NACHWORT
    «Habent sua fata libelli» , auch Bücher haben ihre Geschichte und ihr besonderes Schicksal. Wenige Werke der Weltliteratur lassen dieses lateinische Sprichwort so anschaulich werden wie der Roman mit Kokain , der 1936 in einem russischen Exilverlag in Paris erschien und als dessen Verfasser damals ein gänzlich unbekannter M. Agejew genannt wurde. Dem Roman war ein gewisser Erfolg beschieden, ehe er vergessen wurde, wie sich auch bald niemand mehr dafür interessierte, wer ihn verfasst hatte. Fast fünfzig Jahre später wiederentdeckt und zuerst ins Französische, dann davon ausgehend in viele andere Sprachen übersetzt, wurde er weltweit zum Bestseller. In den Dreißigerjahren hatte der Roman, dessen künstlerischer Rang unbestritten war, über dessen Verfasser aber nichts als Gerüchte kursierten, für Aufsehen nur in den literarischen Zirkeln russischer Emigranten gesorgt, die sich in Berlin wie Paris heftig befehdeten. Fünfzig Jahre später, Mitte der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts, erregte er die akademische Welt und das internationale Feuilleton. Professoren überboten sich in ihren Studien mit kühnen Thesen, Zeitschriften schickten Reporter aus, dem Autor wenigstens posthum auf die Spur zu kommen, und für jede neue Mutmaßung wurden sogleich schlüssige Gegenargumente ins Treffen geführt. Wer war dieser M. Agejew, der einen thematisch, kompositorisch und stilistisch originellen Roman veröffentlicht hatte, und warum bekannte sich auch nach Jahrzehnten immer noch kein Autor zu seiner Verfasserschaft? Der Lösung kamen die Professoren von der Sorbonne und die Literaturkritiker der Magazine nicht näher, und die an Überraschungen so reiche Geschichte des Romans hat eine ihrer schönen Pointen darin, dass die entscheidende Wende nicht von den berühmtesten Slawisten ihrer Zeit, sondern von zwei unbekannten, akribisch arbeitenden russischen Archivaren kam. Bücher haben ihr besonderes Schicksal, und im Falle des Romans mit Kokain ist es nicht übertrieben zu sagen, dass seine Geschichte selbst ein eigener Roman ist.
    1933 erhielt eine russische Exilzeitschrift in Paris Post aus Istanbul. Der Absender nannte sich Mark Levi, gab kaum biografische Nachricht von sich und schickte das Manuskript eines Romans, für den er das Pseudonym M. Alisin wählte. In einem späteren Brief fügte er zur Frage des Namens hinzu: «Im Grunde ist das ja so unwichtig.» Schon den Lesern der ersten Buchausgabe 1936 fiel auf, dass dieses in Ich-Form abgefasste Selbstbekenntnis eines Gymnasiasten, der sich seiner niederen Herkunft schämt, zur schönen Sonja ein zerstörerisches Begehren fasst und als Kokainist in Wahn und Rausch untergeht, nicht nur spannend ist, sondern über den ganzen Text ungewöhnliche Bilder, luzide Beobachtungen, glänzende Formulierungen verstreut. Gleich auf der ersten Seite ist etwa von der alten Amme die Rede: «ihre einzige Schwäche, ja vielleicht auch Leidenschaft, war ihr Geflüster – unaufhörlich und schnalzend, als knackte sie Sonnenblumenkerne» – was für ein ungewöhnlicher Vergleich! Alle paar Seiten stößt man auf ähnlich überraschende und präzise Bilder, von denen hier nur eines noch aus dem letzten Drittel des Buches angeführt sei: «… ich trat abends ans Fenster … und schaute, den Kopf in den Nacken gelegt, so lange in den dicht fallenden Schnee, bis ich wie in einem Lift nach oben zu fahren schien, den unbeweglichen Schneeseilen entgegen.» Dieser Agejew, den keiner kannte, gebot jedenfalls über erhebliche literarische Fähigkeiten; und dass sein Roman in den Kreisen der russischen Exilanten, die ihre Heimat nach dem Sieg der Bolschewiken verlassen hatten, auf Interesse stieß, ist nicht schwer zu verstehen. Immerhin wird in ihm jene verlorene Welt von gestern beschworen, die auch die ihre war, die letzten Jahre vor der Oktoberrevolution, eine gleißend verführerische und verkommene Welt am Abgrund.
    Kein Wunder, dass schon sein erster Verleger mehr über den rätselhaften Verfasser dieses Werks herauszubekommen versuchte. So wurde Lidija Tscherwinskaja, eine junge Poetin, die über einen gediegenen Ruf als Exzentrikerin verfügte, nach Istanbul geschickt, um jenen Mark Levi aufzusuchen, der seine Briefe stets mit einer Adresse im jüdischen Galata-Viertel von Istanbul versehen hatte. Was Lidija Tscherwinskaja von ihrer Reise berichtete, wurde später von vielen als Mystifikation abgetan, ja zuweilen wurde ihr
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