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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition)
Autoren: M. Agejew
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und sei die Dosis noch so hoch, nicht mehr einstellen. Auf die Frage des Oberarztes, warum er trotzdem weiter dem Kokain zuspreche, wenn er von vornherein wisse, dass es bei ihm nur psychische Qualen hervorrufe, verglich Maslennikow mit zitternder Stimme seinen Geisteszustand mit demjenigen Gogols, als dieser versuchte, den zweiten Teil seiner «Toten Seelen » 33 zu schreiben. Ebenso wie er, der gewusst habe, dass die freudigen Kräfte seiner frühen Schaffenstage gänzlich aufgebraucht waren, sich aber dennoch tagtäglich schöpferisch versucht habe, um jedes Mal feststellen zu müssen, dass alle Schöpferkraft abhandengekommen war, ebenso wie Gogol, der seine Schreibversuche (in dem verzweifelten Wissen, dass das Leben ohne diesen freudigen Elan für ihn jeden Sinn verlöre) trotzdem nicht unterließ, ungeachtet der Qualen, die sie ihm bereiteten, sie im Gegenteil sogar noch häufiger unternahm – ebenso spreche auch er, Maslennikow, weiter dem Kokain zu, obwohl er von vornherein wisse, dass es bei ihm nichts außer heller Verzweiflung auslösen werde.
    Bei der Untersuchung ließen sich bei Maslennikow alle Symptome einer chronischen Kokainvergiftung feststellen: Dysfunktion des Magen-Darm-Traktes, Schwäche, chronische Schlaflosigkeit, Apathie, Abmagerung, eine besondere gelbe Verfärbung der Haut sowie eine Reihe von Nervenstörungen offensichtlich psychischer Natur, die ohne jeden Zweifel vorlagen, deren exakte Diagnose aber eine längere Beobachtung erfordert hätte.
    Es lag auf der Hand, dass es überhaupt keinen Sinn hatte, einen solchen Kranken bei uns im Militärkrankenhaus zu behalten. Dies teilte ihm unser Oberarzt, ein außerordentlich sanfter Mann, sogleich mit, fügte aber, da es ihn augenscheinlich quälte, nicht helfen zu können, hinzu, dass er, Maslennikow, kein Lazarett brauche, sondern eine gute psychiatrische Heilanstalt; dort einen Platz zu bekommen sei allerdings in der jetzigen sozialistischen Zeit gar nicht so leicht. Heute spiele nämlich bei der Aufnahme eines Patienten weniger seine Krankheit eine Rolle als vielmehr der Nutzen, den dieser Kranke der Revolution gebracht habe oder zumindest noch bringen könne.
    Maslennikow hörte mit düsterer Miene zu. Sein angeschwollenes Lid verdeckte unheilvoll fast das ganze Auge. Auf die besorgte Frage des Oberarztes, ob er keine Verwandten oder Familie habe, die für ihn ein Wort einlegen könnten, antwortete er mit Nein. Nach kurzem Schweigen fügte er hinzu, seine Mutter sei verstorben, seine alte Njanja, die ihm die ganze Zeit über heroisch geholfen habe, sei nun selbst hilfebedürftig, einer seiner Klassenkameraden, Stein, sei vor Kurzem emigriert, und der Aufenthaltsort zweier weiterer – Jegorow und Burkewitz – sei ihm nicht bekannt.
    Als er den letzten Namen erwähnte, tauschten wir Blicke. «Genosse Burkewitz ?» , hakte der Oberarzt nach. «Ja, aber das ist doch unser direkter Vorgesetzter. Ja, aber ein Wort von ihm würde doch reichen, um Sie zu retten !»
    Maslennikow fragte lange nach, da er offensichtlich befürchtete, es könnte sich hierbei um ein Missverständnis handeln, um einen Mann gleichen Namens. Er war sehr erregt und schien sich zu freuen, als er sich davon überzeugt hatte, dass dieser Genosse Burkewitz eben derjenige war, den er kannte. Der Oberarzt wies ihn darauf hin, dass sich das Amt, dem Genosse Burkewitz vorstand, in der gleichen Straße befand wie unser Lazarett, dass er aber bis zum Morgen warten müsse, da er jetzt, am Abend, dort wohl kaum jemanden antreffen würde. Dann ging Maslennikow, nachdem er das Angebot, die Nacht im Lazarett zu verbringen, abgelehnt hatte.
    Am nächsten Morgen gegen zwölf Uhr brachten drei Boten des Amtes, in dem Genosse Burkewitz arbeitete, Maslennikow zu uns ins Lazarett. Jede Rettung kam zu spät. Wir konnten nur noch eine akute Kokainvergiftung feststellen (ohne Zweifel beabsichtigt: Maslennikow hatte das Kokain offensichtlich in einem Glas Wasser aufgelöst und getrunken) sowie den Tod durch Atemstillstand.
    In Maslennikows Brustinnentasche wurden folgende Objekte gefunden: 1. ein altes Leinenbeutelchen, in dem zehn silberne Fünfkopekenstücke eingenäht waren, und 2. ein Manuskript, auf dessen Vorderseite in großen, hässlich verzerrten Buchstaben drei Worte gekritzelt waren: Burkewitz hat abgelehnt.
    Das war alles, was Wadim Maslennikow hinterließ, abgesehen von schäbiger Wäsche, zerrissener Kleidung und einem kleinen gelben Glasfläschchen, auf dessen Etikett stand:
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