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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition)
Autoren: M. Agejew
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mir, dem « Kopf der Klasse», wie man uns nannte – hing wie ein mit beiden Enden an einem Magneten haftendes Hufeisen. An dem einen Ende hing das Hufeisen mit seinem besten Schüler an uns, dann entfernte es sich gemäß seiner Rundung und den immer schlechteren Schulzensuren, kehrte wieder zurück und verband sich am anderen Ende wieder mit uns, wo sich der schlechteste und faulste Schüler befand. Wir selbst, der Kopf, vereinten in uns die grundlegenden Merkmale des einen wie des anderen: die Zensuren des besten und bei der Schulleitung den Ruf des schlechtesten.
    Auf der Seite der besten Schüler hing Eisenberg an uns. Auf der Seite der Faulenzer Takadschijew.
    Eisenberg oder der « Stille», wie er genannt wurde, war ein bescheidener, sehr fleißiger und sehr schüchterner jüdischer Junge. Er hatte eine seltsame Angewohnheit: Bevor er etwas sagte oder eine Frage beantwortete, sammelte er Speichel, schluckte ihn hinunter, neigte dabei den Kopf und machte schließlich « mtje». Alle meinten, sie müssten sich über seine sexuelle Enthaltsamkeit lustig machen (obwohl niemand nachweisen konnte, dass es sich mit der Enthaltsamkeit tatsächlich so verhielt – am wenigsten wurde sie von ihm selbst bestätigt); häufig umdrängte ihn während der Pausen ein Trupp und verlangte : « Na los, Eisenberg, zeig uns doch mal deine letzte Liebhaberin», und untersuchte dabei aufmerksam seine Handflächen.
    Wenn Eisenberg mit jemandem von uns sprach, so neigte er jedes Mal den Kopf schräg nach unten, lugte mit seinen nesselgrünen Augen zur Seite und bedeckte mit der Hand seinen Mund.
    Takadschijew war der Älteste und Größte der Klasse. Dieser Armenier erfreute sich allgemeiner Beliebtheit dank seiner erstaunlichen Fähigkeit, den Spott von sich auf die schlechte Zensur abzulenken, die er gerade mal wieder erhalten hatte, wobei er im Unterschied zu den anderen niemals wütend auf die Lehrer wurde und von allen der Vergnügteste war. Auch er hatte einen Lieblingsspruch, der bei folgender Gelegenheit entstanden war: Einmal, beim Austeilen der korrigierten Hefte, gab der Russischlehrer, der gutmütige und kluge Semjonow, Takadschijew sein Heft zurück, feuerte schalkhaft böse Blicke auf ihn ab und erklärte, dass, obgleich der Aufsatz fabelhaft geschrieben und darin eigentlich nur ein unbedeutender Fehler sei – nämlich ein falsch gesetztes Komma – , er, Semjonow, eben wegen dieses nichtigen Fehlers genötigt sei, Takadschijew null Punkte zu geben. Der Grund für diese auf den ersten Blick so ungerechte Zensur müsse darin gesehen werden, dass Takadschijews Aufsatz Wort für Wort mit dem von Eisenberg übereinstimme, ebenso wie – und das sei besonders geheimnisvoll – in beiden das falsch gesetzte Komma übereinstimme. Dann fügte er seinen bevorzugten Ausspruch hinzu – «Den Falken erkennt man am Flug, den Jüngling an seiner Rotznase» – und gab Takadschijew das Heft zurück. Aber Takadschijew, das Heft in der Hand, blieb weiter am Lehrerpult stehen. Mehrmals fragte er bei Semjonow nach, ob das möglich sei, ob er ihn richtig verstanden habe und wie es geschehen könne, dass diese falsch gesetzten Kommata ganz und gar übereinstimmten. Inzwischen hatte er Eisenbergs Heft zum Vergleich erhalten; er blätterte lange darin, überprüfte und suchte etwas, mit wachsender Verwunderung; schließlich, schon ganz verzweifelt, schaute er zunächst zu uns, die wir kurz davor waren, in lautes Lachen auszubrechen, dann wandte er seine verwundert aufgerissenen Augen ganz langsam direkt Semjonow zu . « So eine Züfall», flüsterte er tragisch, hob die Schultern und schob die Mundwinkel nach unten. Die null Punkte wurden eingetragen, der Preis war sozusagen gezahlt, und Takadschijew, der in Wirklichkeit sehr gut Russisch sprach, hatte einfach die Gelegenheit genutzt, seine Freunde, sich selbst und übrigens auch den Russischlehrer zu erheitern, der es, trotz seiner strengen Härte bei den Zensuren, liebte zu lachen.
    Dies waren also die Berührungspunkte mit den Enden des an uns hängenden Klassenhufeisens, wo alle übrigen Schüler umso abgeschlagener und darum farbloser schienen, je weiter sie sich infolge des ewigen Kampfes um Zweien und Dreien 9 der Mitte des Hufeisens näherten. In diesem uns entfernt und fremd scheinenden Umfeld befand sich auch Wassili Burkewitz, ein Junge von kleinem Wuchs, pickelig und mit zottigem Haar, als mit ihm in dem ruhigen und streng geregelten Leben unseres alten Gymnasiums etwas durchaus
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