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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1
Autoren: Emil Zola
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dieser aus dem alten Boden aufsteigenden Flut des Lebens schuf es Museen und stellte die prächtigen, dem Kultus der allgemeinen Bewunderung wiedergegebenen Tempel des Heidentums wieder her. Noch nie hatte sich die Kirche in einer solchen Todesgefahr befunden; denn wenn auch Christus in St. Peter verehrt wurde, so thronte doch Jupiter und alle die marmornen Götter und Göttinnen mit dem schönen, triumphirenden Fleisch in den Sälen des Vatikans. Dann stieg eine andere Vision vor Pierre auf: die der modernen Päpste vor der italienischen Occupation – Pius IX., als er noch frei war und oft in seine gute Stadt Rom hinausging. Die große, rot und goldene Karosse ward von sechs Pferden gezogen; die Schweizer Garden umgaben sie, dahinter kam ein Trupp der Nobelgarden. Aber am Corso angelangt, verließ der Papst manchmal die Karosse und setzte seinen Spaziergang zu Fuße fort. Dann galoppirten die berittenen Garden voran, um alles zu benachrichtigen und anzuhalten. Allsogleich blieben die Wagen stehen; die Männer stiegen aus und knieten auf dem Pflaster nieder, während die Frauen, einfach aufstehend, beim Herannahen des heiligen Vaters fromm den Kopf neigten. So ging der Papst mit langsamen Schritten, lächelnd und segnend, mit seinem Hof bis zur Piazza del Popolo. Und nun kam Leo XIII., der freiwillige Gefangene. Seit achtzehn Jahren im Vatikan eingeschlossen, hatte er hinter diesen dicken, schweigsamen Mauern, im Hintergrunde des Unbekannten, in dem das verschwiegene Leben jedes seiner Tage verfloß, eine höhere Majestät, etwas heilig und schrecklich Geheimnisvolles, angenommen.
    Ach, dieser Papst, dem man nicht mehr begegnet, den man nicht mehr sieht, dieser Papst, der den gewöhnlichen Menschen verborgen ist – gleich einer jener furchtbaren Gottheiten, der nur die Priester allein ins Angesicht zu schauen wagen! Er hat sich in diesem prächtigen Vatikan eingeschlossen, den seine Vorfahren aus der Renaissance für riesige Feste gebaut und geschmückt hatten; dort lebt er, fern von der Menge im Gefängnis, zusammen mit den schönen Männern und den schönen Frauen Michel Angelos und Raffaels, mit den marmornen Göttern und Göttinnen. Rings um ihn strahlt der Olymp und feiert die Religion des Lichtes und des Lebens. Das ganze Papsttum badet sich hier mit ihm im Heidentum. Welch ein Schauspiel, wenn dieser gebrechliche Greis in den reinen, weißen Gewändern durch diese Galerien der Antikensammlung kommt, um sich in die Gärten zu begeben! Rechts und links stehen die Statuen mit all ihrem nackten Fleisch und sehen ihn vorübergehen; da ist Jupiter und da ist Apollo, da ist Venus, die Herrscherin, und Pan, der Weltgott, dessen Lachen die Freuden der Erde einläutet. Nereiden baden sich in der durchsichtigen Flut, Bacchantinnen wälzen sich schleierlos in dem heißen Grase, Centauren galoppiren dahin, auf ihren dampfenden Rücken schöne, vergehende Mädchen tragend. Ariadne wird von Bacchus überrascht, Ganymed liebkost den Adler, Adonis entzündet die Paare mit seiner Flamme. Und der weiße Greis schwankt auf seinem Tragsessel vorüber, mitten durch diesen Triumph des Fleisches, diese prunkende, verherrlichte Nacktheit, die die Allmacht der Natur, die ewige Materie verkündet. Seitdem man sie wiedergefunden, ausgegraben, gewürdigt hat, herrscht sie hier von neuem unvergänglich; vergeblich hat man an den Statuen Weinblätter angebracht, so, wie man die großartigen Figuren Michel Angelos bekleidete: das Geschlecht flammt, das Leben überströmt, der Samen kreist wildflutend durch die Adern der Welt. Dicht daneben ist die unvergleichlich reichhaltige vatikanische Bibliothek, wo das ganze menschliche Wissen schlummert; und wenn eines Tages die Bücher dort ebenfalls erwachen und mit lauter Stimme sprechen würden, wie die Schönheit der Venusse und die Manneskraft der Apollos spricht, so würde es eine noch viel schrecklichere Gefahr, eine Explosion sein, die den Vatikan und selbst St. Peter stürzen würde. Aber der weiße, durchsichtige Greis scheint nichts zu hören, nichts zu sehen, und die gewaltigen Jupiterköpfe, die Herkulestorsen, die Antinousse mit den unbestimmten Hüften stehen weiter da und sehen ihn vorübergehen.
    In seiner Ungeduld entschloß sich Narcisse, einen Wächter zu fragen, der ihm versicherte, daß Seine Heiligkeit bereits unten sei. In der That ging man zumeist, um den Weg abzukürzen, durch eine kleine, gedeckte Galerie, die vor der Münze auslief.
    »Gehen wir auch hinunter, nicht
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