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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1
Autoren: Emil Zola
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weiße, zu erzählen wußte. Dieser dicke, liebenswürdige Mann – er war sogar gefällig, wenn nicht sein Interesse auf dem Spiele stand – war eine leibhaftige, lebendige Zeitung. Er wußte alles und verschmähte nicht einmal den Küchenklatsch. So ging er ruhig dem Kardinalate zu, das ihm sicher war, und gab sich keine andere Mühe, als daß er während der stillen Stunden des Spazierganges Neuigkeiten brachte. Und Gott weiß, dazu fand er Stoff genug in diesem fest verschlossenen Vatikan mit dem sich fortwährend vermehrenden Gewimmel von Prälaten aller Art, in dieser päpstlichen Familie, wo es keine Frauen gibt, die aus lauter alten Junggesellen in langen Kleidern besteht, welche heimlich maßloser Ehrgeiz, verstohlener und abscheulicher Kampf, wilder Haß erregt. Und wie es heißt, greift dieser Haß manchmal noch zu dem guten, alten Gift der alten Zeiten.
    Plötzlich hielt Narcisse inne.
    »Sehen Sie, ich habe es gewußt ... Da ist der heilige Vater ... Aber wir haben kein Glück. Er wird uns nicht einmal sehen. Da steigt er wieder in den Wagen.«
    In der That war die Kalesche bis zum Rande des Gehölzes herangefahren, und ein kleiner Zug, der aus einer engen Allee trat, schritt auf sie zu.
    Pierre erhielt einen heftigen Schlag mitten ins Herz. Er stand mit seinem Gefährten unbeweglich, halb verborgen hinter dem hohen Stamm eines Zitronenbaumes und konnte den weißen Greis nur aus der Ferne sehen. Er sah in den flatternden Falten seiner weißen Sutane so gebrechlich aus und ging sehr langsam, mit kleinen Schritten, die über den Kies zu gleiten schienen. Kaum vermochte er das magere, wie aus durchsichtigem, altem Elfenbein gemeißelte Gesicht zu sehen, dem die große Nase über dem schmalen Munde Gepräge gab. Aber die tiefschwarzen Augen glänzten neugierig lächelnd, während das Ohr nach rechts, zu Monsignore Gamba del Zoppo geneigt war, der zweifellos im Begriffe war, irgend ein fettes und kurzes, ausgeschmücktes und würdiges Geschichtchen zu erzählen. Auf der andern Seite, links, schritt ein Nobelgardist, und zwei andere Prälaten folgten.
    Es war nur eine flüchtige Erscheinung; denn schon stieg Leo XIII. in die geschlossene Kalesche, und inmitten dieses großen, brennend heißen und duftigen Gartens überkam Pierre wieder die seltsame Bewegung, die er in der Galleria dei Candelabri empfunden, als er sich ausgemalt hatte, wie der Papst durch die Reihe der nackten Apoll- und Venus-Statuen getragen wurde. Dort feierte nur die heidnische Kunst die Ewigkeit des Lebens, die großartige und allmächtige Kraft der Natur, hier aber sah er ihn sich in der Natur selbst baden, in der schönsten, wollüstigsten und leidenschaftlichsten Natur. Ach, dieser Papst, dieser weiße Greis, der seinen Gott, den Gott des Schmerzes, der Demut und der Entsagung, durch die Alleen dieser Liebesgärten führte, während nach den heißen Sommertagen matt der Abend herabsank und die Düfte der Pinien und des Eukalyptus, der reifen Orangen und der üppigen Tobimbüsche ihn umschmeichelten! Ganz und gar umhüllte ihn hier Pan mit den erhabenen Ausströmungen seiner Manneskraft. Wie schön war es, hier in dieser Pracht des Himmels und der Erde zu leben, die Schönheit des Weibes zu lieben und sich an der allgemeinen Fruchtbarkeit zu erfreuen! Jählings wurde ihm die entscheidende Wahrheit offenbar, daß aus diesem Lande des Lichtes und der Freude nur eine weltliche, nach Eroberung und politischer Gewalt begehrende Religion entsprossen konnte, nicht aber die majestätische und leidende Religion des Nordens, eine Religion der Seele.
    Aber Narcisse führte den jungen Priester weiter, indem er ihm immer neue Geschichten erzählte: von der Leutseligkeit Leo XIII., der manchmal stehen blieb, um mit den Gärtnern zu sprechen, sie über den Stand der Bäume, den Verkauf der Orangen zu befragen. Auch von der Leidenschaft erzählte er ihm, mit der er zwei Gazellen, die er aus Afrika zum Geschenke bekommen, geliebt hatte; es waren hübsche, feine Tiere, die er gern streichelte und deren Tod er beweinte. Uebrigens hörte Pierre nicht mehr zu, und als sie sich beide wieder auf dem Platze vor St. Peter befanden, wandte er sich um und betrachtete nochmals den Vatikan.
    Seine Augen fielen auf die Bronzethür, und er erinnerte sich, wie er am Morgen sich gefragt hatte, was sich wohl hinter diesen mit dicken, viereckigen Nägeln beschlagenen, metallenen Thürfeldern befinde. Er wagte sich noch keine Antwort darauf zu geben; er wagte noch nicht,
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