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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1
Autoren: Emil Zola
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doch ein sehr liebenswürdiger Junge. Vor allem war er vollständig unfähig, Leiden zu ertragen, und verabscheute Leiden, Häßlichkeit und Armut bei sich und anderen. Mit Leib und Seele war er für Freude, Glanz, äußern Schein, das Leben in hellem Sonnenschein geschaffen; dabei war es ganz aus mit ihm, er war erschöpft, hatte für nichts mehr Kraft als für dieses Müßiggängerleben, vermochte nicht einmal mehr zu denken oder zu wollen, so daß es ihm nicht einmal in den Sinn gekommen war, sich dem neuen Regime anzuschließen. Dazu kam der maßlose Stolz des Römers, eine mit Klugheit und einem stets regen, praktischen Verständnis der Wirklichkeit gemischte Trägheit, und zu der sanften Anmut seiner zu Ende gehenden Rasse, zu seinem fortwährenden Bedürfnis nach dem Weibe gesellten sich Anfälle wütenden Verlangens, eine manchmal losbrechende, fahle Sinnlichkeit.
    »Mein armer Dario! Mag er doch eine andere aussuchen – ich erlaube es ihm,« fügte Benedetta sehr leise, mit ihrem schönen Lächeln hinzu. »Nicht wahr, man darf von einem Manne nichts Unmögliches verlangen, und ich will nicht, daß er daran stirbt.«
    Und als Pierre sie erstaunt ansah, weil diese Worte seine Vorstellung von italienischer Eifersucht erschütterten, rief sie, brennend vor leidenschaftlicher Vergötterung:
    »Nein, nein, ich bin darauf nicht eifersüchtig. Es macht ihm Vergnügen und mir keinen Schmerz. Und ich weiß sehr gut, daß er stets zu mir zurückkehren, daß er ganz mein, nur mein sein wird, wenn ich es wollen, wenn ich es können werde.«
    Es entstand Schweigen. Der Salon füllte sich mit Schatten, das Gold an den großen Pfeilertischen erlosch, eine unendliche Schwermut senkte sich von der hohen Decke und den alten, gelben, herbstlich gefärbten Tapeten herab. Bald darauf trat durch eine zufällige Beleuchtung das Bild über dem Kanapee, auf dem die Contessina saß, deutlich hervor. Es war das Porträt des jungen, schönen Mädchens im Turban, der Cassia Boccanera, der Ahnin, der Liebenden, der Richterin. Abermals ward der junge Priester von der Ähnlichkeit betroffen. Er begann ganz laut zu denken.
    »Die Versuchung ist stärker als die Menschen,« hob er an. »Stets kommt eine Minute, da man erliegt. Eben vorhin, wenn ich nicht ins Zimmer gekommen wäre ...«
    Benedetta fiel ihm heftig ins Wort.
    »Ich, ich! ... Ah, Sie kennen mich nicht! Ich wäre lieber gestorben.«
    Und in einer seltsamen frommen Exaltation, von Liebe ganz emporgehoben, als hätte der Aberglaube die Leidenschaft bis zur Verzückung in ihr entfacht, fügte sie hinzu:
    »Ich habe der Madonna geschworen, meine Jungfräulichkeit dem Manne, den ich lieben werde, nur an dem Tage zu geben, da er mein Gatte sein wird. Diesen Schwur habe ich um den Preis meines Glückes gehalten, und ich werde ihn halten selbst um den Preis meines Lebens... Ja, Dario und ich, wir werden sterben, wenn es sein muß, aber die heilige Jungfrau hat mein Wort und die Engel im Himmel werden nicht weinen.«
    Sie war vollkommen aufrichtig, von einer Einfachheit, die zuerst verworren, unerklärlich erscheinen konnte. Zweifellos wurde sie von der seltsamen Vorstellung von menschlicher Erhabenheit beherrscht, die das Christentum in die Entsagung und Reinheit gelegt hat, die ein Protest gegen die ewige Materie, die Kräfte der Natur, die endlose Fruchtbarkeit des Lebens ist. Aber in ihr ward sie noch etwas mehr: Die Jungfräulichkeit erhielt einen unschätzbaren Wert, war ein köstliches, göttliches Geschenk, das sie dem erkorenen, von ihrem Herzen erwählten Geliebten machen wollte, der, sobald sie Gott mit einander verbunden hatte, der Herr über ihren Leib wurde. Für sie gab es außer der Weihe des Priesters, der kirchlichen Heirat nichts als Todsünde und Greuel. Das erklärte ihren langen Widerstand gegen Prada, den sie nicht liebte, ihren verzweifelten, schmerzhaften Widerstand gegen Dario, den sie anbetete, dem sie sich aber in gesetzlichem Bunde hingeben wollte. Welche Qual war dieser Widerstand gegen die Liebe für diese entflammte Seele! Welch einen fortwährenden Kampf führte die Pflicht, das der Jungfrau geleistete Gelübde gegen die Leidenschaft, diese Leidenschaft ihrer Rasse, die, wie sie gestand, manchmal wie ein Sturm in ihr ausbrach! So unwissend und lässig, so sehr sie ewiger Treue fähig war, so forderte sie doch das Ernsthafte, das Materielle von der Liebe. Kein Mädchen ging weniger als sie im Traum auf.
    Pierre sah sie in der ersterbenden Dämmerung an und
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