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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1
Autoren: Emil Zola
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es schien ihm, daß er sie jetzt zum erstenmale sähe und verstehe. Ihre Doppelnatur verriet sich in den etwas starken und sinnlichen Lippen, den ungeheuren, schwarzen, grundlosen Augen und in dem so reinen, so vernünftigen, so kindlich zarten Gesichte. Dabei ahnte man hinter diesen Flammenaugen, dieser reinen weißen Haut die innerliche Spannkraft der Abergläubischen, der Stolzen und Eigenwilligen, der Frau, die sich hartnäckig für ihre Liebe aufbewahrte; sie arbeitete nur, um sie zu genießen,, und war in ihrer bedachtsamen Verständigkeit stets auf irgend eine leidenschaftliche Thorheit gefaßt, die sie hinreißen würde. Ach, wie erklärlich war es, daß man sie liebte! Wie war er sich bewußt, daß ein so anbetungswürdiges Geschöpf mit dieser schönen Aufrichtigkeit, dieser ungestümen Zurückhaltung, um sich dann besser hingeben zu können, das Leben eines Mannes ausfüllen mußte! Sie erschien ihm wie die jüngere Schwester dieser lieblichen, tragischen Cassia, die in ihrer fortan nutzlosen Jungfräulichkeit nicht weiter leben wollte und sich in den Tiber gestürzt hatte, indem sie ihren Bruder Ercole und den Leichnam Flavios, ihres Geliebten, mit sich zog.
    In einer liebevollen Regung ergriff Benedetta beide Hände Pierres.
    »Herr Abbé, Sie sind seit vierzehn Tagen hier bei uns und ich habe Sie schon sehr lieb, weil ich fühle, daß Sie ein Freund sind. Wenn Sie uns auch nicht gleich verstehen, so dürfen Sie doch deshalb nicht zu schlecht von uns denken. Ich schwöre Ihnen, so unwissend ich auch bin, bemühe ich mich immer, so gut als möglich zu handeln.«
    Er wurde von ihrer Liebenswürdigkeit unendlich gerührt und dankte ihr dafür, indem er ihre schönen Hände einen Augenblick in den seinen hielt; denn auch er wurde von großer Zärtlichkeit für sie erfaßt. Von neuem riß ihn ein Traum hin; er wollte, wenn er nur Zeit dazu hätte, ihr Erzieher sein, wollte wenigstens nicht abreisen, ohne diese Seele für die Idee der künftigen Nächstenliebe und Brüderlichkeit gewonnen zu haben, die die seine war. War dieses herrliche, lässige, unwissende, unbeschäftigte Geschöpf, das nur seine Liebe zu verteidigen verstand, nicht das Italien von gestern? Das schöne, schlummernde Italien von gestern mit seiner sterbenden Anmut, so bezaubernd in seinem Schlummer, in dessen tiefen, schwarzen, leidenschaftlich brennenden Augen noch so vieles Unbekannte lag? Und welche Sendung war es, das Volk der Armen und Unglücklichen, das verjüngte Italien von morgen, so wie er es sich träumte, zu wecken, zu belehren, der Wahrheit zu erobern! Selbst in der unseligen Heirat mit dem Grafen Prada, in dem Bruche wollte er nur einen ersten, mißlungenen Versuch sehen: das moderne Norditalien ging zu rasch ans Werk, war zu brutal in seinem Bestreben, das sanfte, zurückgebliebene, noch große und so träge Rom zu lieben und umzubilden. Aber konnte er den Versuch nicht wieder aufnehmen? Hatte er denn nicht bemerkt, daß sein Buch nach dem Erstaunen, das die erste Lektüre in ihr hervorgerufen, in der Leere ihrer nur von ihrem Kummer erfüllten Tage eine Beschäftigung, ein Interesse für sie bildete? Wie, sich für andere, für die Geringen dieser Welt, für das Glück der Unglücklichen interessiren? War es möglich, daß darin eine Linderung des eigenen Elends lag? Sie war ja schon bewegt; er gelobte sich, ihre Thronen fließen zu machen, und erzitterte selbst in ihrer Nähe, da er an die unendliche Liebe dachte, die an dem Tage, wo sie lieben lernte, von ihr ausgehen würde.
    Die Nacht war vollständig hereingebrochen und Benedetta hatte sich erhoben, um eine Lampe zu verlangen. Als nun Pierre sich verabschiedete, hielt sie ihn noch einen Augenblick in dem Halbdunkel zurück. Er sah sie nicht mehr, er hörte nur ihre ernste Stimme:
    »Nicht wahr, Herr Abbé, Sie werden keine allzu schlechte Meinung von uns mitnehmen? Dario und ich, wir lieben uns, und das ist keine Sünde, wenn man vernünftig ist... Ach ja, ich liebe ihn schon so lange! Stellen Sie sich vor, ich war kaum dreizehn, er achtzehn und da liebten wir uns schon, liebten uns wie die Tollen, in dem großen Garten der Villa Montefiori, den man zerstört hat. – Ach, was für Tage wir dort zubrachten – ganze Nachmittage unter den Bäumen, ganze Stunden in unauffindbaren Verstecken, um uns wie die Cherubim zu küssen! Wenn die Zeit der reifen Orangen kam, da duftete es, daß wir ganz berauscht wurden. Und die großen Tobirabüsche – Gott, wie sie uns
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