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Rolandsrache

Rolandsrache

Titel: Rolandsrache
Autoren: Kirsten Riedt
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letzten Blätter von den Bäumen, die wild tanzend durch den Regen flogen.
    Sie lief quer über das kahle Weizenfeld, dessen Boden schon ganz aufgeweicht war. Mit jedem Schritt versank sie, und es machte schmatzende Geräusche, wenn sie die Füße wieder anhob. Bereits nach wenigen Metern waren ihre ledernen Schuhe aufgeweicht und das Kleid völlig durchnässt.
    Schon von Weitem sah sie Licht in der Hütte von Claas und überlegte, ob sie klopfen sollte, schließlich wollte ihr Vater, dass sie ihm half, und sie wusste nicht einmal genau, wobei.
    Doch je näher sie kam, desto unsicherer wurde sie. Wie würde er reagieren? Sie konnte nicht einfach so mit einem »Hier bin ich!« vor ihm stehen. Sicher waren ihre Fragen wichtig, aber eigentlich wäre dafür auch später noch Zeit.
    Beinahe war sie an der Hütte vorbei, als sie das Quietschen einer Tür vernahm. »Anna?«
    Ihr Herz machte einen Satz.
    Claas trat mit freiem Oberkörper in den Sturm hinaus. Ihr Gesicht begann zu glühen, und sie senkte verschämt den Blick. »Guten Tag, Claas.«
    »Was machst du bei diesem Wetter hier draußen?«
    »Ich wollte zur Werkstatt, um zu sehen, ob viel Schaden entstanden ist.«
    »Ich hatte gestern den gleichen Gedanken wie du und war kurz da.«
    Da er keine Anstalten machte, sich zu bekleiden, hob sie langsam den Blick. Er sah noch immer mitgenommen und müde aus. Sein Kopf war noch verbunden, und der verletzte Arm hing schlaff in einem Tuch, das er um den Hals geschlungen hatte. »Und wie sieht es dort aus?«
    »Schlimm, Anna, sehr schlimm.« Er fuhr sich mit der gesunden Hand durch die Haare.
    »Oh.« Sie hatte etwas in der Art erwartet, aber wenn selbst er es sagte, musste es wirklich schlimm stehen.
    »Komm doch herein, bevor du dir den Tod holst. Ich ziehe mir etwas über und begleite dich, sobald der Regen nachlässt.«
    »Ja, gern.« Sie war jetzt doch erleichtert, nicht allein gehen zu müssen.
    Beim Eintreten fiel Anna auf, wie sauber und aufgeräumt seine Hütte war.
    Neben einem Bett, einem Tisch mit zwei Stühlen, einer Truhe und einem gemauerten Ofen war ein provisorisches Lager aus Stroh in einer Ecke hergerichtet worden. Vermutlich schlief er während des Besuchs seiner Mutter dort. Es brannten einige Talglichter, und eine teure Wachskerze stand auf dem Tisch. Auf dem Boden lag das lederne Fell eines Hirsches, welches er damals von seiner Wanderschaft mitgebracht hatte. Um es nicht schmutzig zu machen, vermied sie, es mit ihren schlammigen Schuhen zu betreten.
    Im Licht der Kerzen beobachtete sie, wie sich ein Wassertropfen aus seinem Haar einen Weg über seinen Rücken suchte, während Claas aus der Truhe ein wollenes Hemd herausfischte. Er streifte es über. Anna fing seinen erstaunten Blick auf und kam sich ungehörig vor, ihn so angestarrt zu haben.
    »Setz dich doch bitte.« Höflich schob er ihr einen Stuhl hin. »Du erlaubst?« Damit nahm er ihr den nassen Umhang ab und hängte ihn über die Feuerstelle, während sie sich setzte. Er holte einen Krug mit zwei Bechern und nahm ihr gegenüber Platz.
    »Möchtest du etwas Wasser oder Wein?«
    »Nein, danke.«
    Er goss sich ein, leerte den Becher und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund.
    »Wie geht es dir und deiner Mutter?«
    »Es ist schwer mit ihr. Sie ist fröhlich und benimmt sich, als wäre nichts geschehen.«
    »Ich habe davon gehört, und es tut mir sehr leid.« Er machte ein betroffenes Gesicht. »Und du, wie geht es dir?«
    »Ich komme zurecht. Das Haus ist voller Menschen, die sich kümmern.«
    Für eine Weile schwiegen sie, und nur das Prasseln des Regens und das Knistern des Feuers durchbrachen die Stille. Dann hielt sie es nicht mehr aus.
    »Claas, ich habe so viele Fragen.«
    Er sah von seinem Becher auf. »Frag nur, ich werde dir alles sagen, was du wissen willst.«
    Was hatte er mit dem Überfall zu tun, wie konnte er schuld daran sein? Diese Frage interessierte Anna am brennendsten, doch sie stellte sie zurück.
    »Sag mir alles über diesen Auftrag. Warum durfte niemand davon erfahren, dass ihr ein Bildnis Johann Hemelings macht?«
    »Es ist nicht der Ratsherr, wie du die ganze Zeit angenommen hast, sondern die Statue des Roland, die Bremen nun wieder zieren soll.« Er lächelte, aber es wirkte gequält.
    Anna zweifelte an den Worten von Claas. »Aber das Gesicht …«
    »Ja, ich weiß, das hast du auch gut erkannt, denn es ist in der Tat sein Gesicht, er hat es so angeordnet.« Claas lachte kurz auf. »Er ist ein ehrlicher, aber auch
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