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Rolandsrache

Rolandsrache

Titel: Rolandsrache
Autoren: Kirsten Riedt
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ihm allein zu lassen.« Damit stellte Arens ein kleines Fläschchen auf den Nachttisch und breitete das Tuch aus.
    Gemeinsam verließen sie das Zimmer. Anna sah noch einmal nach ihrer Mutter, die nun mit der Wäsche hantierte, als wäre nichts geschehen. Bei dem Anblick stiegen ihr sofort die Tränen in die Augen.
    »Es tut mir sehr leid, Anna.« Mechthild war neben sie getreten und schlang mütterlich den Arm um sie.
    »Wird er …?«
    Sie nickte. »Ich befürchte das Schlimmste. Ihr müsst jetzt stark sein.«
    Anna warf einen hilflosen Blick in die Küche. »Was ist mit meiner Mutter los?«
    Die Kräuterfrau sah an Anna vorbei. »Magda Olde, kann ich etwas für dich tun?«
    Doch auch das zeigte keinerlei Wirkung bei der Mutter. In der Zwischenzeit begann der Bader in der Diele, die Wunden von Claas zu versorgen. Als er dessen Arm bewegen wollte, verzog Claas schmerzhaft das Gesicht und stöhnte auf.
    »Der Arm ist gebrochen, und ich fürchte, nicht nur einmal. Das wird eine Weile dauern, ehe du ihn wieder nutzen kannst«, sagte der Bader schließlich, und Claas’ Blick verdüsterte sich noch weiter.
    Mechthild schloss leise die Küchentür. »Das mit deiner Mutter habe ich schon einige Male erlebt. Sie nimmt nicht wahr, was mit deinem Vater passiert. Ich nenne das tüdelig.«
    Anna wendete den Blick von Claas ab, verstand nicht, was sie damit sagen wollte. »Was bedeutet das, ›sie nimmt es nicht wahr‹?«
    »Sie verschließt sich vor der Wahrheit und flüchtet in eine eigene Welt, in der das Unglück nicht geschehen ist.«
    »Ich verstehe nicht. Wird sie lange so sein?«
    »Ich hoffe, nicht sehr lange. Doch bedenke, wenn sie wieder zu uns zurückfindet, wird es schlimm für sie sein. Es wäre gut, wenn immer jemand bei ihr ist.«
    Anna vergrub das Gesicht in ihren Händen und begann hemmungslos zu weinen. Das alles war viel zu viel für sie, und noch nie hatte sie sich so hilflos und allein gefühlt. Mechthild strich ihr beruhigend über das Haar.
    »Ich kann meine Mutter kommen lassen, damit sie euch hilft, und auch nach deiner Tante schicken«, schlug Claas vor.
    Anna war gerührt, dass er sich sorgte. »Danke, Claas.«
    Er nickte ihr zu und verließ das Haus, jedoch nicht ohne zu versichern, dass er schnell zurückkommen würde. Während sie darauf wartete, zu ihrem Vater gehen zu können, hörte sie aus der elterlichen Kammer den Priester murmeln und aus der Küche das Hantieren der Mutter. Die Zeit verstrich. Anna verbrachte sie im Gebet für ihre Eltern.
    Schließlich kam Claas zurück. »Der Bote ist unterwegs.« Dann deutete er auf die Schlafkammertür. »Gibt es schon Neuigkeiten?«
    Stumm schüttelte sie den Kopf.
    In diesem Moment öffnete sich die Tür, und sofort sprang Anna auf.
    »Dein Vater ist jetzt wach und verlangt nach euch.«
    Mit schnellen Schritten eilte Anna ans Bett ihres geliebten Vaters und ergriff die Hand, die er ihr zitternd entgegenhielt. Die Luft war jetzt geschwängert von Weihrauch, und ihr fiel das Atmen schwer. »Vater!« Ihre Augen füllten sich sofort wieder mit Tränen, als sie sah, wie viel Mühe es ihn kostete, sie anzulächeln. Sein Auge war zugeschwollen, das Kissen voller Blut und seine Haut beinahe so bleich wie das Laken.
    »Anna, wein doch nicht.« Er war schwach, und sie musste genau hinhören, um ihn zu verstehen.
    »Vater.« Sie konnte nichts weiter sagen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und gleichzeitig wollte sie schreien, doch ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr.
    Unbeholfen streichelte er ihre Hand. »Ich habe meinen Frieden mit dem Herrn gemacht und hatte ein gutes Leben, mein Kind. Kümmere dich um deine Mutter.« Er hustete, und Anna erschrak, als dabei ein weiterer Schwall Blut aus seinem Mund hervorquoll.
    »Sag doch so etwas nicht. Du wirst doch wieder gesund, Vater.« Sie wusste selbst, dass das nicht stimmte, griff nach einem Tuch und tupfte ihm das Blut ab. Als der Anfall vorüberging, war er außer Atem.
    »So?«, keuchte er. »Warum weinst du dann?« Sein Versuch zu zwinkern misslang wegen der Schwellung am Auge.
    Anna spürte plötzlich die beruhigende Hand von Claas auf ihrer Schulter, der unbemerkt neben sie getreten war.
    »Claas, mein guter Junge.«
    »Nennt mich nicht mehr so, Meister. Ich allein bin schuld!« Nun weinte auch Claas, und er schämte sich nicht vor ihr. Die Tränen verfingen sich in seinen langen Wimpern und tropften hinunter. Nie zuvor hatte Anna ihn so erschüttert gesehen, nie hätte sie geahnt, dass ihr Vater ihm so viel
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