Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Römischer Lorbeer

Römischer Lorbeer

Titel: Römischer Lorbeer
Autoren: Steven Saylor
Vom Netzwerk:
sehen
wollte, den du an Meto geschrieben hast? Es war ein Brief über
deine Arbeit und deine Ermittlungen zu Dios Tod. Ich habe dich
gefragt, warum es dir so wichtig war zu wissen, wer Dio
getötet hatte. Du hast von Seelenfrieden gesprochen und
gesagt: ›Wenn ein Mensch, der dir nahesteht, verletzt wurde,
würdest du diesen Menschen dann nicht rächen und das
geschehene Unrecht wieder gutmachen wollen, wenn du
könntest?‹ Natürlich, Papa! Und genau das habe ich
getan. Ich habe es für Mutter getan und für meine
Großmutter, die ich nie kennengelernt habe. Würdest du
wollen, daß ich es ungeschehen mache, wenn ich es
könnte? Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest,
hätte ich dann deiner Meinung nach lieber gar nichts tun
sollen?«
    Ich betrachtete
verwirrt ihr Gesicht, während ich versuchte mich zu erinnern,
was ich über Mord und Recht, über richtig und falsch
dachte.
    »Hättest du
nicht dasselbe getan, Papa?«
    Einen Moment lang
lüftete sich der Schleier des Geheimnisses. Die Augen, die
mich ansahen, waren mir so vertraut und bar jeden Geheimnisses wie
meine eigenen Augen im Spiegel. Fleisch von meinem Fleisch, Blut
von meinem Blut. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter und
küßte sie auf die Stirn. Aus dem Garten hörte ich,
wie die Familie zum Essen kam - Eco, Menenia, Meto und die alles
erobernden Zwillinge. Ich ließ meine Hand sinken und blickte
erneut in Dianas Augen. Mit einem Schaudern des Bedauerns sah ich,
daß der Schleier wieder über ihr Gesicht gefallen war.
Sie war wieder rätselhaft, ganz und gar sie selbst, eine
weitere Sterbliche, die durch den Kosmos treibt, jenseits meiner
Kontrolle und meines Verständnisses. Der Augenblick der
Erkenntnis war flüchtig, wie es solche Augenblicke immer sind,
wie Musik, die die Leere ganz und gar erfüllt und dann von
einem Hauch verweht wird.

NACHBEMERKUNG
    Binnen dreizehn Jahren
sollten die meisten am Prozeß gegen Marcus Caelius
Beteiligten, wie es der Historiker T. P. Wiseman formuliert hat,
»auf spektakuläre Weise ums Leben gekommen« sein -
Clodius in einem Scharmützel mit Milos Anhängern ermordet
(worauf am nächsten Tag ein wütender Mob das
Senatsgebäude niederbrannte); Crassus auf seinem
unglückseligen Feldzug zur Erringung militärischen Ruhms
gegen die Parther zusammen mit zwanzigtausend Mann seiner Truppen
massakriert; Pompeius ein Opfer des chaotischen Bürgerkrieges
und Cicero ein Opfer des Friedens. Republikanische und juristische
Beschränkungen »politisch motivierter Gewalt«
waren also augenscheinlich gescheitert, ebenso wie Crassus’,
Caesars und Pompeius’ zweiter Versuch, ein stabilisierendes
Triumvirat zu gründen; am Ende der Straße stand
Augustus.
    Auch König
Ptolemaios sollte bis dahin tot sein. Er hinterließ mehrere
Kinder (unter ihnen die berühmte Cleopatra), die um die
Herrschaft Ägyptens kämpften und die römische
Vorherrschaft noch für eine Weile verhindern
konnten.
    Marcus Caelius hatte
die Seiten schließlich einmal zu oft gewechselt und sich den
falschen Mann zum Feind gemacht. Weil es ihm nicht gelang, mitten
im Bürgerkrieg eine Garnison von Soldaten zur Revolte gegen
Caesar zu bewegen, endete sein Ehrgeiz in einem gewaltsamen Tod.
Seine lebhafte Korrespondenz mit Cicero blieb erhalten und machte
ihn zum Liebling von Historikern wie Gaston Boissier (»Es
gibt in der Geschichte, die wir studieren, vielleicht keinen
eigenartigeren Charakter als Caelius«) und W. Warde Fowker,
der Caelius die »interessanteste Gestalt seiner Epoche«
nannte.
    Schon früh hatte
im ersten nachchristlichen Jahrhundert der Kommentator Quintilian
das Urteil der Nachwelt gefällt: »Viel Talent findet
sich bei Marcus Caelius […], ein beachtenswerter Mann, wenn
ihm eine bessere Gesinnung und ein längeres Leben beschieden
gewesen wären.«
    Catull starb von allen
Beteiligten als erster, im Jahr 54 v. Chr., an unbekannter Ursache.
Er wurde wahrscheinlich etwa dreißig Jahre alt.
    Und was geschieht mit
Clodia? Nach dem Prozeß verschwindet sie von der
Bildfläche (obwohl ich den Verdacht habe, daß Gordianus
sie vielleicht doch nicht zum letzten Mal gesehen hat). Etwa neun
Jahre später taucht sie in einigen Briefen Ciceros an seinen
Freund Atticus wieder auf, der sich offenbar gut mit Clodia
verstanden hat. Auf der Suche nach einem Grundstück, auf dem
er seinen Lebensabend verbringen kann (»Ein Ort zum
Altwerden«, vermutet Atticus, worauf Cicero schroff erwidert:
»Ein Platz, wo man mich begraben kann.«), bittet
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher