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Rocking Horse Road (German Edition)

Rocking Horse Road (German Edition)

Titel: Rocking Horse Road (German Edition)
Autoren: Carl Nixon
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wir.
    Für uns schien die dicke Decke Lucys Tod eher zu verdeutlichen als zu verbergen. Derartig zugedeckt zu sein an einem so heißen Tag am Strand schien weit unnatürlicher als ihre vorherige Nacktheit. Rachael White war in Lucys Klasse gewesen und weinte nun am lautesten, obwohl sie nie auch nur im entferntesten mit Lucy befreundet gewesen war. Beim Anblick der Decke wurde ihr Schluchzen zu einem Geheul, das sich unter die Schreie der Möwen mischte. Und dann klappte sie zusammen wie ein Liegestuhl, knickte in den Hüften und den Knien ein und sank langsam in den Sand. Als sie eine der ihren fallen sahen, wurde das Geschrei der anderen Mädchen um eine Stufe lauter.
    Offenbar war der große Dürre jetzt dran, etwas zu unternehmen. Ohne jede Eile setzte er sich in Richtung Rachael in Bewegung. Unterwegs stieß er mit dem Fuß neugierig gegen ein Stück verwesenden Tang, und eine Wolke von winzigen Insekten stieg daraus auf. Er betrat den Kreis, den die Mädchen um Rachael gebildet hatten. Wie eine Giraffe spreizte er seine Beine weit und beugte sich über sie, ohne sich hinzuknien, als wollte er vermeiden, daß seine Hose mit dem Sand in Berührung kam. Einige von uns gingen ebenfalls hinüber. Wir drängten uns eng heran, um einen besseren Blick zu erhaschen. Doch der Sanitäter schien keine Geduld mit Jugendlichen zu kennen. »Zurück mit euch!«, fauchte er. »Verdammt, ihr laßt ihr ja keine Luft zum Atmen!« Er zog ein Glasfläschchen aus seiner Tasche und hielt es Rachael unter die Nase. Sofort kam sie wieder zu sich. Und fing an zu weinen, als hätte sie nie damit aufgehört. Zwei ihrer Freundinnen hoben sie auf und schleppten sie zu einem verblichenen Baumstamm. Dort saß sie dann und schluchzte. Später fanden wir alle: Das war typisch Rachael White. Aller Augen auf sich zu lenken zu einer Zeit, da jeder mit seinen Gedanken hätte bei Lucy sein müssen.
    Noch immer tauchten Leute auf den Dünen auf. Wie bei der stillen Post hatte sich die Nachricht unter den Anwohnern schnell, aber nicht präzise verbreitet. Manche glaubten, sie kämen an den Strand, weil ein Surfer ertrunken war. Andere hatten gehört, es habe einen Schwerverletzten gegeben und man müsse ihn über die Dünen zum Krankenwagen tragen. Mr. Robinson, der schon achtundsiebzig war, aber noch immer jeden Tag im Meer schwamm, glaubte, er sei gekommen, um gestrandeten Walen zu helfen. Er trug eine dicke Rolle Tau über der Schulter, um die in Not geratenen Tiere wieder ins Wasser zu ziehen. Hierbei nun war Mr. Robinsons Tau völlig nutzlos.
    Nach ungefähr einer halben Stunde trafen ein Dutzend uniformierte Polizisten ein, dazu ein paar in Zivil. Bill Harbidge war die Erleichterung deutlich anzusehen, als die neuen Polizisten die Regie übernahmen. Sie drängten uns weiter zurück und sperrten ein großes Areal um Lucy ab, wozu sie lange Pflöcke in den Sand trieben und dann gelbes Absperrband zwischen ihnen spannten. Ein Polizist wurde an den Anfang des Hauptwegs von der Rocking Horse Road postiert, um die Leute am Betreten des Strands zu hindern.
    Diejenigen von uns, die schon da waren, durften bleiben. Wir hatten nichts anderes zu tun, also schauten wir den Polizisten bei ihrer Arbeit zu. Sichtblenden aus Stoff wurden um den Leichnam aufgestellt. Wir konnten die Köpfe der beiden Forensik-Typen sehen, die sich hinter den dünnen Wänden auf und ab bewegten wie Figuren in einem Marionettentheater. Ein Polizeifotograf war ansonsten der einzige, der hinter die Sichtblenden durfte. Er machte ein Bild nach dem anderen. »Mehr Bilder als jeder dämliche Tourist«, kommentierte Grant Webb.
    Später verbrachten die Polizisten Stunden damit, in dem abgesperrten Areal nach Beweismaterial zu suchen. Sie gingen in einer langen Reihe, weit nach vorn gebeugt, um jeden Zentimeter zu erfassen. Jeder noch so unscheinbare Gegenstand wurde aufgehoben, untersucht und mitgenommen. Es war eine äußerst mühsame Arbeit und, offen gestanden, für die Zuschauer ziemlich langweilig.
    Roy und Jim rannten zu Jims Haus, um etwas zu essen und zu trinken zu organisieren. Sie umgingen den Polizisten oben an der Straße und kamen zurück mit ein paar Flaschen Coke, einem Früchtebrot mit rosafarbener Glasur und einigen Sandwiches mit Huhn, die Jims Mutter eigens für uns gemacht hatte. Jim hatte seiner Mutter nur gesagt, daß wir am Strand rumhingen und hungrig wären.
    Weil Sonntag war und wegen der Hitze, begann sich der Strand am späteren Morgen mit Familien aus der
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