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Rocking Horse Road (German Edition)

Rocking Horse Road (German Edition)

Titel: Rocking Horse Road (German Edition)
Autoren: Carl Nixon
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sollte). Pete hatte das Magazin in einem Werkzeugkasten aus Metall versteckt – zusammen mit einer halben Tafel Vollmilchschokolade, die er im Laden von Lucys Eltern gestohlen hatte, und Sonnenöl. Den Kasten hatte er in einem natürlichen Amphitheater zwischen den Dünen vergraben. Der Ort war von hohen Lupinen umgeben und für Uneingeweihte praktisch nicht zu finden, es sei denn, sie stießen zufällig darauf. Einige von uns nutzten ihn als Treffpunkt, doch an diesem Morgen war Pete allein gewesen.
    Warum ist er dann auf die Dünen hochgegangen? Als wir ihn danach fragten, wußte er keine Antwort. Er wollte einfach nur schauen. Die Wellen anschauen? Den Sonnenaufgang? Die ersten Surfer, die beim Surfclub weiter oberhalb am Strand wie dunkle Seehunde aufs Meer hinauspaddelten? Ein Achselzucken. Offenbar einfach nur, um zu schauen.
    Da ist also Pete, fünfzehn Jahre alt, den Kopf voller Airbrush-Fantasy-Motive, auf dem Weg die Dünen hinauf, er kämpft sich durchs Tussockgras und durch Lupinen und schaut über den leeren Strand. Die Flut hatte den Sand umgeschichtet, wie sie es immer tat, also erblickte Pete eine Landschaft, die sich ganz leicht verändert hatte, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte.
    »Was glaubtest du, was sie da machte?« (Das ist jetzt aus dem offiziellen Polizeiverhör.)
    »Ich dachte, sie würde sich sonnen.«
    »Morgens um halb acht?«
    Und dann sagte Pete etwas zu dem Beamten, das weit mehr Einsicht verriet, als die meisten ihm zutrauten: »Wenn man fünfzehn ist und ein nacktes Mädchen am Strand liegen sieht, dann denkt man nicht mehr sehr klar. Ich dachte, sie nähme ein Sonnenbad.«
    Lucy lag leicht auf der Seite, den Kopf von ihm weggedreht. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen. Er erkannte sie nicht. Arm und Schulter rechts waren teilweise im Sand vergraben, doch Pete konnte das nicht gleich sehen. Ihr Kopf ruhte knapp unterhalb der Flutmarke, wo der dunkle, nasse Sand an die von Gras und Lupinen überwucherten Dünen grenzte. Ihre Arme und Beine waren gespreizt – »auf dem Sand ausgebreitet wie ein Seestern«, schrieb ein Reporter (unzutreffend) auf der Titelseite von The Press am nächsten Tag. Ein Bein streckte sich ein wenig weiter zum Wasser als das andere, wie wenn sie erstarrt wäre, als sie ihre Zehen ins Wasser hielt, um die Temperatur zu prüfen.
    Von seiner Position aus konnte Pete ihre gebräunten Beine sehen, die Rundung ihrer Hüften und dann den steilen Abfall zu ihrer Taille. Und, ja, ihre prallen Hinterbacken, die Pete bisher nie an einer lebenden Frau gesehen hatte (und, rein formal betrachtet, auch jetzt nicht sah). Und ihren Rücken. Lucy war Schwimmerin und Lebensretterin und hatte einen breiten Rücken mit ein paar Sommersprossen, aber Pete hatte Lucys Rücken nicht erkannt. Pete wußte noch immer nicht, wen er da anstarrte.
    Und hier wollen wir uns von allen Verhörprotokollen und offiziellen Verlautbarungen lösen, um zu spekulieren. Für Pete Marshall muß die Erscheinung am Strand ausgesehen haben wie die Erfüllung all seiner Wünsche. Namenlos und nackt im klaren Morgenlicht; eine Seite aus den Magazinen seines Bruders, die für ihn allein lebendig geworden war. Dieser Gedanke kann nicht allzuweit von seinem Horizont entfernt gewesen sein (nicht vergessen: Pete war fünfzehn!). Oder vielleicht stellte er sich etwas noch Exotischeres vor. Falls er je in diesen ersten berauschenden Augenblicken an Meerjungfrauen oder verbannte Töchter aus Atlantis gedacht hat, hat er das nicht verraten. Gewiß nicht der Polizei und nicht einmal uns.
    Erst als Pete sich vorsichtig näherte, sah er, daß der linke Arm der Frau seltsam gefleckt war. Noch näher, und er konnte sehen, daß ihre Haut schlaff wirkte und nicht zu den Schultern einer Schwimmerin paßte. Ihr Haar war verfilzt, und ein verblichenes Stückchen Treibholz steckte darin. Lucy Asher hatte etwa fünf Stunden im Wasser gelegen, bevor sie an Land gespült wurde, heißt es im Bericht des Gerichtsmediziners (Exponat 5). Spuren am Leichnam deuteten darauf hin, daß er, von den Wellen herumgeworfen, wiederholt auf dem Grund aufgeschlagen war. Pete sagte der Polizei, er konnte aus noch größerer Nähe sehen, daß etwas »komisch« war an dem Winkel, den ihr Kopf mit dem Sand bildete.
    Es gibt ein Foto des Polizeifotografen (Exponat 7), auf dem man einen Fußabdruck im Sand sieht, unmittelbar bei Lucys ausgestreckter Hand. Die Hand liegt mit der Handfläche nach oben, die Finger leicht gekrümmt, als ob sie einen
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