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Rocking Horse Road (German Edition)

Rocking Horse Road (German Edition)

Titel: Rocking Horse Road (German Edition)
Autoren: Carl Nixon
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warfen Treibholz in die Wellen, wo es vom weißen Schaum herumgeschleudert wurde. Keine unserer üblichen Zerstreuungen und keines unserer üblichen Gesprächsthemen funktionierte.
    Schließlich zogen wir zurück auf die Straße und zum Haus von Jim Turner. Einzig aus dem Grund, weil es am nächsten lag. Eine Zeitlang lungerten wir auf dem Gehweg vor dem Haus herum, im Schatten der Hecke. Auf der Straße wurde der Asphalt weich. Die Autos machten Geräusche wie ein Klettverschluß beim Öffnen. Steinchen sprangen an die Kotflügel. Keiner von uns hatte Jims Mutter von Lucy Asher erzählt, doch inzwischen hatte sich die Nachricht unter praktisch allen Bewohnern von The Spit rumgesprochen. Schließlich kam sie raus und scheuchte uns weg.
    Einer nach dem anderen trennten wir uns von der Gruppe und gingen nach Hause. Wegen der Sommerzeit würde es noch stundenlang hell bleiben. Wir verspürten keinen Hunger wie sonst, wußten aber, daß unsere Mütter das Essen auf dem Herd hatten, wie jeden Abend. Die Beklommenheit war uns vom Strand gefolgt. Sie klebte an uns und schlüpfte mit uns durch die Haustür. Den ganzen Abend blieb sie bei uns. Ganz egal, was wir taten, um uns abzulenken, danach fand sie uns wieder; sie hatte geduldig gewartet.
    Schließlich packte uns die Verzweiflung. »Verpiß dich!«, dachten wir in unbewußter Nachahmung unserer Väter. »Hau ab!«
    Aber es nützte nichts. Sie blieb.
Die Zeitungen nannten den Täter sofort den »Weihnachtsmörder«. Alle Artikel der ersten Tage bestätigten nur, was wir schon wußten: Lucy war erwürgt worden, und die Leiche wurde nicht an der Stelle, an der Pete sie gefunden hatte, ins Wasser geworfen. In den Six O’Clock News an Heiligabend erklärte ein Polizeisprecher in komplizierten Wendungen, daß man von einem Sexualverbrechen ausgehe. Das brachte die Story in den nächsten Ausgaben der Zeitungen am 26. erneut auf die Titelseiten. Grant Webb sprach es unumwunden aus: »Sie war nackt, oder? Klar war es sexuell! Er hat sie gefickt und dann umgebracht.« Diese Worte machten uns verlegen, aber man mußte wirklich kein Sherlock Holmes sein, um das rauszufinden. Wir hatten es von Anfang an gewußt. Der Mord an Lucy triefte vor Sex.
    Zunächst wurden neun Polizisten auf den Fall angesetzt, doch die Zahl erhöhte sich bis Silvester bereits auf zwölf. Der Druck auf die Polizei, denjenigen zu schnappen, der Lucy ermordet hatte, war enorm hoch. Anfang der 1980er Jahre war ein Mord noch etwas höchst Außergewöhnliches, und die Ermordung einer attraktiven jungen Frau beschleunigte den Puls der Nation. Natürlich lag das auch daran, daß sie, wie Marilyn Monroe, nackt war, als sie gefunden wurde; das erhöhte das öffentliche Interesse und war für die Zeitungen bestimmt kein Nachteil. Lucy bekam mehr Aufmerksamkeit, als wenn sie eine dickliche Mittfünfzigerin und bekleidet gewesen wäre.
    Es half uns sehr, daß Jase Harbidges Vater Polizist war. So bekamen wir Informationen aus erster Hand, zu denen wir normalerweise keinen Zugang gehabt hätten. Mrs. Harbidge war mit dem örtlichen Metzger durchgebrannt, deshalb lebten in diesem Sommer nur Jase, seine elf jährige Schwester und Vater Harbidge im Haus. Ihr Weihnachtsmahl bestand aus Makkaroni mit Käse, und die drei verzehrten es vor dem laufenden Fernseher. Bill saß in seinem Fernsehsessel und kippte in stetem Rhythmus ein Bier nach dem anderen. Von Jase wußten wir, daß er sehr viel trank, seit seine Frau ihn verlassen hatte. Jase sagte uns, daß er unter Alkoholeinfluß viel über seine Arbeit redete, und nicht nur über den Fall Asher. Morde, Vergewaltigungen, Bandenkriege mit Schießereien, der Musiklehrer, der sich an dem jungen Saxophonisten verging, Fälle, die bis zu zwanzig Jahre zurücklagen – das alles erzählte er. Die gesamte Vergangenheit wurde ihnen aufgetischt. Jase und seine kleine Schwester aßen ihre Makkaroni und hörten ihrem Vater zu. Danach ließen sie die Knallbonbons platzen, die Jase gekauft hatte, um es ein bißchen festlich zu machen. Sogar als mit sich selbst beschäftigte Fünfzehnjährige bekamen wir mit, daß Weihnachten 1980 für Jase Harbidge eine ziemlich schwierige Zeit war.
    Für alle anderen von uns starteten die familiären Weihnachtsrituale wie gutgeölte Maschinen. Die Leute schienen das, was »dem armen Asher-Mädchen« passiert war, hinter sich lassen zu wollen. Am Weihnachtsmorgen wachten wir früh auf und packten unsere Geschenke aus. Danach wurden Großeltern aus ihren
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