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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock
Autoren: T.C. Boyle
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die Kneipengäste um ihn drängten. Schließlich nahm ihn Frank Leary beim Wort, ein vierschrötiger, kräftiger, großmäuliger Stier von Mann, der bei der Eisenbahn arbeitete, aber das Vieh drückte Learys Handgelenk in Sekundenschnelle auf den Tresen und ließ erst wieder los, als seinem Gegner die Tränen in den Augen standen.
    Jedoch qualifizierte dieses Erlebnis O’Kane noch nicht gerade als Hominidenexperten, was er auch sofort eingestanden hätte, und er hatte am Vortag nach der Arbeit eine aufreibende Stunde in der Bibliothek mit dem Durchstöbern einer Enzyklopädie verbracht, in der vagen Hoffnung, irgend etwas daraus zu erfahren, was Mrs. McCormick imponieren würde. Oder, wenn er ihr schon nicht imponieren konnte, zumindest seine Blamage möglichst gering halten würde, sollte sie es sich plötzlich einfallen lassen, ihn zu diesem Thema ins Verhör zu nehmen. Die Bibliothek war für O’Kane ein fremder Ort, feuchter als eine chinesische Wäscherei und dreimal so kalt, die Beleuchtung war hominidisch primitiv und die Erleuchtung, die ihm die Enzyklopädie zum Thema Affen bot, in etwa ebenso schwach. Affen , so las er, sind hochintelligent und dem Menschen näher verwandt als alle übrigen Lebewesen. Es sind beliebte Tiere im Zoo und im Zirkus. Zudem spielen sie eine tragende Rolle in den Legenden und Volksmärchen vieler Länder . Nach einer Weile stand er auf, stellte den Band ins Regal zurück und wanderte zu Donnellys Bar hinüber, um dieses gewaltige Wissensreservoir mit Hilfe von einem oder zwei mnemonischen Whiskeys im Gehirn zu fixieren.
    Und nun war er spät dran, sein einziger guter Anzug kroch ihm die Schienbeine hinauf, und er fragte sich, wie er Mrs. McCormick, der Eisprinzessin persönlich, die bahnbrechene Neuigkeit beibringen sollte, daß Affen beliebte Zoo- und Zirkustiere waren. Doch als er den Rand des Rasens erreichte und über das Mäuerchen flankte, den gefliesten Fußweg entlangging und die Treppe des Verwaltungsgebäudes erklomm, überraschte ihn das schillernde Wunderding seines überlasteten Hirns – schlagartig vergaß er die Affen und dachte an Kalifornien. Vielmehr dachte er gar nicht richtig daran, nicht wirklich – er hatte eine Vision, er erinnerte sich plötzlich und lebhaft an ein Grundstück dort, schimmernde Dattelpalmen unter dem flüssigen Gold der Sonne und Orangenbäume mit Früchten wie pralle Hinterteile, und am Rand des Anwesens ein gemütlicher kleiner Bungalow oder wie immer man die Dinger dort nannte –, und das war schon merkwürdig, mehr als das, wo er doch sein ganzes Leben lang nie weiter westlich als Springfield gekommen war. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, daß er sich wohl an einen dieser Aufkleber auf Apfelsinenkisten erinnerte, bei deren Anblick man sofort die Schneeschaufel hinschmeißen und den nächsten Zug nach Westen nehmen wollte. Aber da war es nun einmal, ob Realität oder Phantasie – dieses Kalifornien –, und es machte sich mit all seiner exotischen Herrlichkeit in seinem Kopf breit, wo eben noch die Affen gewesen waren.
    Und dann, als er schließlich durch die breiten Facettenglastüren in den trüben, nach Bohnerwachs und Kohlenstaub riechenden Korridor trat, dachte er an seine Rosaleen zu Hause, Sorge und Freude seines Lebens, seit drei Monaten seine süße, scharfe, streitlustige Braut mit dem üppigen Kußmund und Mutter von Edward jr., seinem grünäugigen Sohn. Was würde sie dazu sagen, daß sie alle drei nach Kalifornien umziehen würden, und zwar wegen Mr. Stanley McCormick, dem früheren Mitbesitzer der McCormick-Mähmaschinenfabrik und der International Harvester Company, wegen Mr. McCormick und einer Horde Affen? Und was würde ihre Mutter dazu sagen und ihre Brüder mit den Blumenkohlohren und der zu kurz geratene Nörgelheini von Vater, der ihn sowieso am liebsten lebendig gehäutet hätte, weil er seiner Tochter ein Kind gemacht hatte? Als wäre alles nur seine Schuld, als hätte nicht auch sie damals ihre Chance gesehen und sie ergriffen – und hatte er etwa nicht seine Pflicht erfüllt, und saß sie nicht in diesem Moment behaglich in der kleinen Wohnung in der Chestnut Street, mit dem Baby und den neuen Gardinen und allem, was eine Frau sich sonst noch wünschen konnte?
    Etwas steifbeinig trottete er an Dr. Cowles’ Sprechzimmer vorbei, strich sich das Haar glatt, kämpfte mit seiner Krawatte und versuchte, die Schultern so zu verrenken, daß sie in die klatschnassen Konturen des Anzugs paßten, und
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